Menschenrechte: Das Militär ist schlimmer als Mubarak

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MenschenrechteDas Militär ist schlimmer als Mubarak

Die Ägypter haben Hosni Mubarak gestürzt, sein System aber hat überlebt. Unter dem Militärrat werden die Menschenrechte noch stärker mit Füssen getreten als zuvor.

Peter Blunschi
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Peter Blunschi

In Kairo ist es auch am Mittwoch zu Auseinandersetzungen zwischen Polizisten und Demonstranten gekommen. Ihre Wut richtet sich gegen den regierenden Militärrat und dessen Chef, Feldmarschall Mohammed Hussein Tantawi. «Wir haben es immer noch mit dem System Mubarak zu tun», sagte Mustafa Togbi, ein 56-jähriger Regierungsangestellter, der «New York Times». Die Militärs seien «alles Abgänger der Mubarak-Schule».

Wie wenig sich seit dem Sturz von Hosni Mubarak am 11. Februar verändert hat, zeigt ein am Dienstag veröffentlichter Bericht von Amnesty International. Dieser zeichnet ein verheerendes Bild der Menschenrechtslage in Ägypten. Der Militärrat löse friedliche Proteste regelmässig gewaltsam auf, heisst es. Mehr als 12 000 Zivilisten sei vor Militärgerichten ein unfairer Prozess gemacht, 13 Menschen seien zum Tode verurteilt worden.

Folter und «Jungfräulichkeitstests»

Folter gehöre ebenfalls zu den Methoden des Militärs, erklärte Amnesty unter Berufung auf Betroffene in Polizeigewahrsam. Im September gelangte ein Video an die Öffentlichkeit, das zeigte, wie Militär- und Polizeioffiziere zwei Häftlinge schlugen und mit Elektroschocks traktierten. «Nach der Untersuchung über den Fall hat die Militärpolizei das Video ohne weitere Erklärung als Fälschung bezeichnet», schreibt Amnesty International. Ein trübes Kapitel sind auch «Jungfräulichkeitstests», die an Demonstrantinnen vorgenommen wurden.

«Die neuen Machthaber haben einfach die Tradition der Unterdrückung aus der Mubarak-Ära fortgesetzt», sagte Henning Franzmeier, Ägypten-Experte bei Amnesty Deutschland. Das ägyptische Militär sei dem Versprechen, die Menschenrechte zu achten, in keiner Weise nachgekommen. «Ganz im Gegenteil. Die Menschenrechtslage ist in einigen Fällen sogar schlechter als früher», sagte Franzmeier. Kritiker, Demonstranten, Journalisten, Blogger oder Streikende würden verfolgt und schonungslos zum Schweigen gebracht.

Zwei Blogger in Haft

Für Aufsehen sorgte die Festnahme von zwei der bekanntesten ägyptischen Blogger. Der 26-jährige Maikel Nabil Sanad war am 11. April wegen «Verunglimpfung der Streitkräfte» zu drei Jahren Gefängnis verurteilt worden. Der koptische Christ und Militärdienstverweigerer hatte auf seinem Blog einen kritischen Bericht zur Rolle der Armee während der Revolution Anfang Jahr veröffentlicht. Im August trat Sanad in den Hungerstreik.

Am 11. Oktober hob ein Berufungsgericht seine Verurteilung auf, doch weil der neue Prozess ebenfalls vor einem Militärgericht stattfinden soll, verweigert Sanad die Teilnahme. Zwischenzeitlich wurde der Blogger in eine psychiatrische Klinik verlegt, wo er gemäss der «Süddeutschen Zeitung» für gesund befunden wurde. Nach wie vor soll er nur Wasser, Milch und Säfte zu sich nehmen. «Er ist in Lebensgefahr», sagte sein Vater Nabil Sanad.

Ende Oktober wurde zudem Alaa Abdel Fattah verhaftet. Ihm wird vorgeworfen, während der blutigen Ausschreitungen gegen Kopten am 9. Oktober zu Gewalt gegen das Militär aufgerufen zu haben. Seine Haft wurde vorerst bis Ende November verlängert, weil er sich weigert, vor einem Militärgericht auszusagen. Der 30-jährige Blogger und Aktivist war bereits vor fünf Jahren unter Mubarak inhaftiert worden. «Ich hätte nie gedacht, diese Erfahrung nochmals durchmachen zu müssen», schrieb er in einem Brief aus dem Gefängnis.

Hat eine Revolution stattgefunden?

Für die beiden Blogger setzen sich internationale Organisationen wie Reporter ohne Grenzen, doch die meisten Inhaftierten bleiben namenlos. Die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch kritisierte die ägyptische Führung am Dienstag ebenfalls: «Das Militär muss erst noch damit beginnen, die Sicherheitskräfte zu reformieren und die missbräuchlichen Praktiken und Vorgaben der Mubarak-Ära zu beenden.»

Wie wenig sich in Ägypten verändert hat, zeigen auch Äusserungen des Reformpolitikers und Friedensnobelpreisträgers Mohammed al Baradei vorige Woche im Fernsehen. «Wenn ich Ägypten am Vorabend der Revolution am 24. Januar verlassen hätte und heute zurückkehrte, würde ich nicht merken, dass eine Revolution stattgefunden hat, abgesehen von dem Mangel an Sicherheit und der schlechteren Wirtschaftslage», sagte er.

Mit Material von sda und dapd

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