Kanton Bern: «Das Reh wurde fast geköpft und blieb schwer verletzt liegen»

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Kanton Bern«Das Reh wurde fast geköpft und blieb schwer verletzt liegen»

Im Kanton Bern dürfen ab dieser Woche wieder Rehe gejagt werden. Auf dem Benzenberg überschlugen sich die Ereignisse, als eine Leser-Reporterin mitten in eine Treibjagd geriet.

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In diesen Zaun rannte ein Reh auf dem Benzenberg, nachdem es von Hunden aus dem Dickicht gescheucht worden war.

In diesen Zaun rannte ein Reh auf dem Benzenberg, nachdem es von Hunden aus dem Dickicht gescheucht worden war.

Leser-Reporterin
Laut der Leser-Reporterin wurde das Tier dabei schwer verletzt.

Laut der Leser-Reporterin wurde das Tier dabei schwer verletzt.

Leser-Reporterin
Der Vorfall ereignete sich am Benzenberg bei einer Treibjagd.

Der Vorfall ereignete sich am Benzenberg bei einer Treibjagd.

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Darum gehts

  • Auf dem Benzenberg geriet eine Leserin in eine Treibjagd.
  • Ein Reh, verfolgt von Jagdhunden, schoss aus dem Wald und verletzte sich schwer in einem Zaun.
  • Tierschützer fordern eine Abschaffung der Jagdmethode
  • Der Jägerverband verteidigt die Praktik und nennt sie notwendig.

Seit diesem Monat dürfen im Kanton Bern montags, mittwochs und samstags wieder Rehe gejagt werden. 20-Minuten-Leserin B.* spazierte diese Woche unfreiwillig in eine solche Jagd hinein und zeigt sich schockiert über die Erlebnisse. Die Frau aus dem Kanton Bern war mit ihren zwei Hunden auf dem Benzenberg, auf dem Gebiet der Gemeinde Lützelflüh, spazieren: «Ich wusste, dass im Wald gejagt wurde, darum lief ich auf einer Landstrasse am Waldrand.» Dennoch geriet sie mitten in eine Treibjagd hinein.

Unvergesslicher Aufschrei

«Ein Reh schoss plötzlich aus dem Wald und rannte in vollem Tempo über die Strasse. Direkt an mir und meinen Hunden vorbei», so die Leserin. Im Innern des Waldes habe sie lautes Gebelle vernommen. «Das Wild rannte voller Wucht in einen Weidezaun, es wäre beinahe geköpft geworden. Der Zaun hat sich in sein Fleisch geschnitten, und es blieb schwer verletzt am Boden liegen.» Ein Teil des Zaunes und ein Holzpfosten seien durch den Aufprall aus dem Boden gerissen worden. Das Schlimmste sei jedoch das Geräusch gewesen: «Es gab einen lauten Knall, und das Reh schrie auf. Das Bild bringe ich nie mehr aus meinem Kopf», erzählt die Leserin unter Tränen 20 Minuten.

Fast von Auto überfahren

Wenige Sekunden später seien dann zwei Hunde aus dem Wald gesprungen. «Als die Jagdhunde mich und meine beiden Hunde sahen, bremsten sie überrascht ab.» Einer der beiden sei in den Wald zurückgekehrt. Der andere habe die Verfolgung des Rehs aufnehmen wollen und wild schnuppernd die Strasse überquert. «Doch genau in diesem Moment kam ein Auto angefahren.» Sie sei mitten auf der Strasse gestanden und habe dem Auto gerade noch signalisieren können anzuhalten. «Ansonsten wäre der Jagdhund überfahren worden», so die Leserin. Der aufgehetzte Hund sei noch eine Weile auf der Strasse umhergerannt, dann habe er sich ebenfalls in den Wald zurückgezogen. «In der Zwischenzeit hat sich das Reh etwas von seinem Aufprall erholt und setzte seine Flucht fort.»

«Das verletzte Reh konnte schliesslich über die Felder fliehen», erzählt ein Remisberger Landwirt, der den Vorfall ebenfalls beobachtete. «Das Ganze geschah quasi vor meiner Haustür.» Solche Vorfälle seien während der Jagdzeit keine Seltenheit: «Jagd ist Jagd, es kann jederzeit Wild über die Strasse rennen.» Besonders bei einer Treibjagd (siehe Box) kämen solche Konfrontationen öfter vor. Er habe sich längst daran gewöhnt.

«Brutal und archaisch» vs. «notwendig und effektiv»

Nicht daran gewöhnen will sich Marion Theus, Präsidentin des Vereins Wildtierschutz Schweiz. Sie kämpft mit ihrem Verein seit Jahren für die Abschaffung der Treibjagd: «Sie ist archaisch und veraltet. Für die Tiere im Wald ist sie wie Krieg.» Jäger und ihre Hunde würden nicht nur Rehe oder Wildschweine aufscheuchen, sondern alle Waldbewohner. Dann werde «mehr oder weniger erfolgreich» auf die zum Abschuss freigegebenen Tiere geschossen: «Viele Tiere werden angeschossen oder verletzen sich bei der panischen Flucht und springen dann verwundet irgendwohin, wo sie elendig verenden – das kann mehrere Tage dauern.» Die Praktik sei auch nicht effizient.

Dem hält David Clavadetscher, Geschäftsführer von Jagd Schweiz, entgegen: «Die Treibjagd wird auch Regulationsjagd genannt und ist eines der effektivsten Mittel für die Steuerung des Wildbestandes.» Bei der Einzeljagd müsse der Jäger warten und hoffen, dass ein Wild in sein Schussfeld gerate. «Mit der Treibjagd werden die Tiere aus dem Dickicht getrieben, wo sie sich sonst verstecken. Nur so können sie in grösserer Zahl erlegt werden.» Die Jäger würden sich dabei an die von den Kantonen vorgegebenen Abschussquoten halten. «Förster und Landwirte würden sich eher höhere Abschussquoten wünschen, da insbesondere der Forst unter hohen Wildbeständen leidet. Tierschutzorganisationen wollen möglichst tiefe Quoten. Wir Jäger halten uns im Endeffekt an den Auftrag der Kantone», so Clavadetscher.

* Name der Redaktion bekannt

Treibjagd in der Schweiz

Die Treibjagd ist in der Schweiz legal und wird bei Schwarz-, Reh- und Raubwild angewendet. Es handelt sich dabei um eine Form der Bewegungsjagd. Treiber und laut jagende Hunde durchsuchen ein von Jägern umstelltes Gebiet und scheuchen das Wild auf. Das Wild soll so seinen Einstand verlassen, damit es von den Schützen erlegt werden kann. Die Treibjagd gilt als die effektivste Jagdmethode in der Schweiz. Aufgrund der möglichen Fehlabschüsse ist die Methode jedoch umstritten – einige Tierschutzorganisationen setzen sich stark dagegen ein.

(lah/cho)

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