Aufmerksamkeits-DefizitDas Ritalin wird knapp
In Amerika gehen die Medikamente gegen Hyperaktivitäts-Störungen aus. Unter anderem, weil die Diagnose zu schnell gestellt wird. In der Schweiz gibt es vor allem bei den erwachsenen Patienten Engpässe.
- von
- Elisabeth Rizzi

Medikamente können ADHS-Patienten beruhigen. In den USA sind sie derzeit Mangelware.
Lange wurden Betroffene als Zappelphillipp verschrien. Inzwischen ist klar: Viele Kinder, die nicht still sitzen können, leiden an einer Hyperaktivitätsstörung (ADHS). Wer in Amerika von ADHS betroffen ist, hat derzeit ein Problem. Die Medikamentenzulassungsbehörde FDA hat den gegenwärtigen Bedarf an ADHS-Medikamenten unterschätzt. Entsprechend hat sie im Frühling zu geringe Mengen an Inhaltsstoffen zugelassen. Gut 24,4 Millionen Verschreibungen sind vom Engpass betroffen. Bereits sind laut «Medical News Today» einzelne Patienten deshalb in Panik verfallen und haben Hamsterkäufe getätigt.
Die Pharmafirmen arbeiten entsprechend mit Hochdruck daran, gegen die Verknappung anzukommen. «Wir sind über die Situation informiert, dass zurzeit ein Engpass für Methylphenidat besteht und unterstützen die amerikanische Gesundheitsbehörde FDA dabei, das Problem zu beheben», bestätigt etwa Novartis-Sprecherin Adrienne Develey gegenüber 20 Minuten Online.
Steigende Anzahl Verschreibungen
Laut Matt Cabrey, Sprecher des Pharmaherstellers Shire PLC, führt die vermehrte Sensibilisierung auf die Diagnose ADHS dazu, dass es immer schwieriger wird, den Medikamentenbedarf richtig zu prognostizieren.
In der Tat mehren sich in den letzten Jahren die Vorwürfe, dass die Diagnose zu leicht gestellt und ungerechtfertigt viele Kinder mit Medikamenten – in der Schweiz ist vor allem Ritalin bekannt – ruhig gestellt würden. Laut einer Studie des Krankenversicherers Helsana ist der Anteil der medikamentösen Behandlungen von Kindern zwischen 2005 und 2008 von 1 auf 1,7 Prozent gestiegen. Experten rechnen allerdings damit, dass zwischen 1 und 5 Prozent aller Kinder von ADHS betroffen sind; also ein deutlich höherer Anteil als jener, der durch Medikamentenverschreibungen bereits abgedeckt ist.
Trotzdem gibt es in der Schweiz derzeit noch keinen Medikamenten-Engpass. Laut Wilhelm Felder, Co-Präsident der Psychiaterverinigung Schweizerischen Fachgesellschaft für Kinder- und Jugend-Psychiatrie und-Psychotherapie(SGKJPP) gibt es derzeit keine Anhaltspunkte für eine Verknappung von ADHS-Medikamenten.
Chronischer Verschreibungsengpass
Allerdings kämpfen die Fachärzte in der Schweiz mit einem chronischen Verschreibungsengpass bei erwachsenen ADHS-Patienten. Tatsächlich ist ADHS keine blosse Kinderkrankheit. Die Häufigkeit von Aufmerksamkeitsstörungen im Erwachsenenalter wird mit 1,3 bis 4,7 Prozent angegeben.
«Die AHDS-Medikamente werden bei Erwachsenen nur beschränkt von den Krankenkassen vergütet», ärgert sich Christophe Kaufmann, ADHS-Experte von der Schweizerischen Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie SGPP. Beim Novartis-Medikament Focalin XR beispielswese werden nur 20 mg pro Tag von den Kassen erstattet. «Das entspricht einer Wirkungsdauer von 8 bis 10 Stunden. Für viele Patienten wäre aber eine wiederholte Dosis nötig, damit sie den Alltag problemlos bewältigen können», so Kaufmann.
Zudem werde die flächendeckende optimale Behandlung von erwachsenen Patienten erschwert. Denn Hausärzte können laut Kaufmann Focalin und andere zentrale ADHS-Medikamente nicht auf Kosten der Grundversicherung verordnen. Die Verschreibung ist Psychiatern und Kinderärzten vorbehalten. Das Argument, dass ansonsten ein florierender Schwarzmarkthandel entstehen würde, greift gemäss Kaufmann nicht. «Die Kosten unbehandelter ADHS-Patienten sind viel höher und die Gefahr für die Allgemeinheit grösser. Zwei Drittel der unzureichend behandelten ADHS-Frauen werden ungewollt schwanger. Und viele alkoholisierte Autounfälle sind ebenfalls auf ADHS-Folgen zurück zu führen», warnt er.