Spitalverband H+ nimmt Stellung zu Vorwürfen von Assistenzärzten

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Assistenzärzte am LimitDas sagt der Spitalverband H+ zu den Vorwürfen

Von bis zu 80 Stunden Arbeit pro Woche berichten Assistenzärzte und -ärztinnen. Die Arbeitslast schotte sie vom Sozialleben ab und mache sie krank. Der Spitalverband H+ weist die Vorwürfe teilweise zurück und verweist auf die Politik. 

von
Lena Wilczek
Direktorin des Spitalverbandes H+ Anne Bütikofer sagt: «Klar ist: Der Druck auf den Ärzten ist hoch und ihnen wird viel abverlangt.»

Direktorin des Spitalverbandes H+ Anne Bütikofer sagt: «Klar ist: Der Druck auf den Ärzten ist hoch und ihnen wird viel abverlangt.»

Bild: H+

Darum gehts:

  • Assistenzärzte und -ärztinnen erheben schwere Vorwürfe an ihre Arbeitgebenden.

  • Sie berichten von massiven Überstunden und illegalen Arbeitszeiterfassungen.

  • So komme es vor, dass sie bis zu 80 Stunden pro Woche arbeiten müssen. 

  • Der Spitalverband H+ nimmt in einem Interview mit 20 Minuten Stellung. 

Massive Überstunden, keine sozialen Kontakte, keine konkurrenzfähigen Löhne und Arbeitszeiterfassungen, die gegen das Gesetz verstossen. Die Vorwürfe, die Assistenzärzte und -ärztinnen erheben, wiegen schwer. Die Direktorin des Spitalverbandes H+, Anne Bütikofer, nimmt gegenüber 20 Minuten Stellung zu den Vorwürfen. 

Die uns vorliegenden Arbeitszeiterfassungen zeigen, dass Ärztinnen und Ärzte regelmässig mehr als 50 Stunden leisten, die vorgeschriebenen Ruhezeiten und Pausen nicht einhalten und bei Krankheit Minusstunden machen. Wie rechtfertigen die Spitäler dieses Vorgehen?

Sämtliche Arbeitgebende haben die Pflicht, ihren Mitarbeitenden genügend Erholung und Pausen zu geben. Grundsätzlich halten sich die Spitäler und Kliniken daran, wie auch die Kontrollen zeigen. Verletzt ein Betrieb das Arbeitsgesetz, hat dies Sanktionen zur Folge. Es gilt zwar die Höchstarbeitszeit von 50 Stunden, doch diese muss auf das ganze Jahr betrachtet werden. In einem Jahr darf die maximale Überzeit von 140 Stunden nicht überschritten werden. Dies erlaubt eine gewisse Flexibilität.

Warum müssen Assistenzärztinnen und -ärzte überhaupt 50-Stunden-Wochen leisten? 

Eine 42-Stunden-Woche ist bei einer akademischen Weiterbildungsstelle nicht umsetzbar. Auch in anderen akademischen Berufen ist das in der Weiterbildung keine Seltenheit. Von den Assistenzärzten wird viel gefordert, das ist uns bewusst. Sie erhalten aber auch sehr gute Anstellungsbedingungen und vor allem eine herausragende Weiterbildung zurück.

Warum gibt es kaum Teilzeitstellen? 

Mit einem Teilzeitpensum dauert die Weiterbildung zum Facharzt deutlich länger. Wo dies möglich ist, versuchen die Spitäler es auch anzubieten. Doch mit Teilzeitpensen müssten mehr Assistenzärztinnen und -ärzte eingestellt werden, und die gibt es kaum auf dem Arbeitsmarkt. Zudem können die Institutionen nicht beliebig viele Ärzte und Ärztinnen einstellen, dafür ist nicht genug Geld da.  

Die Assistenzärztinnen und -ärzte beklagen die überbordende Bürokratie. Geht das nicht auf Kosten der Weiterbildung? 

Dies kann H+ bestätigen, doch die administrativen Aufgaben sind in den wenigsten Fällen hausgemacht, sondern die Folge einer politischen Bürokratisierung und Überregulierung. Zudem verlangen die Krankenkassen oft detaillierte Unterlagen, wenn es um Behandlungen oder Kostengutsprachen geht. Das geht auf Kosten der Arbeit und Zeit mit den Patientinnen und Patienten. 

Ein Lösungsansatz ist es, gewisse Arbeiten an medizinisch geschultes Administrationspersonal zu übertragen. Doch nicht alle Arbeiten können delegiert werden. Viel lässt sich auch hier nur mit mehr zusätzlichen Mitteln realisieren. Doch diese stehen den Spitälern und Kliniken heute aufgrund der Unterdeckung nicht zur Verfügung. Auch die Digitalisierung ist ein Ansatz, das Problem zu lösen – aber die digitalen Lösungen sind dafür noch zu wenig weit und das Elektronische Patientendossier EPD bleibt trotz Millionen-Investitionen eine Baustelle.  

Wie stellen die Spitäler sicher, dass keine Fehler aufgrund von Müdigkeit oder Erschöpfung geschehen? 

Klar ist: Der Druck auf den Ärzten ist hoch und ihnen wird viel abverlangt. Der Berufseinstieg ist eine sehr schwierige Phase, während der man vielen Anforderungen gerecht werden muss. Doch grundsätzlich ist es so, dass junge motivierte Mediziner diese Herausforderung erfolgreich meistern. Die Patientensicherheit ist das Fundament der Qualitätssicherung im Spital. Die Assistenzärztinnen und -ärzte arbeiten unter der Verantwortlichkeit einer Chefärztin oder eines Chefarztes.  

Assistenzärztinnen und -ärzte befürchten, dass der Job immer weniger lukrativ und attraktiv wird, der Nachwuchs wird zunehmend fehlen. Wie wollen die Spitäler die Attraktivität des Berufs wahren?

Die Probleme im Gesundheitswesen können die Spitäler und Kliniken nicht allein lösen. Vielmehr braucht es die Einsicht der Politik, dass ohne zusätzliches Geld die Arbeitgeberattraktivität im Vergleich zu anderen Branchen unvorteilhaft und die Patientensicherheit gefährdet wird. Die Arbeit der Ärztinnen und Ärzte muss überdacht werden: Was können aufgrund der erworbenen Kompetenzen nur sie? Welche Aufgaben können an andere Berufsgruppen abgegeben werden? Der sogenannte Skill-und-Grade-Mix muss pro Betrieb, ja pro Abteilung überprüft, neu definiert und angepasst werden.

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