AktivismusDas sind die tödlichsten Länder für Umweltaktivisten
Seit 2011 wurden weltweit über 1700 Umweltaktivisten ermordet – Mexiko, Kolumbien und Brasilien führen die Liste an. Auch aus der Schweiz heraus kann man etwas dagegen unternehmen.
- von
- Sebastian Sele

Der kolumbianische Umweltaktivist Luis Misael Socarras engagiert sich gegen die grösste Kohlemine Lateinamerikas. «Ich muss ständig alarmiert sein», sagt er.
Darum gehts:
Seit 2011 wurden gemäss Global Witness weltweit über 1700 Umweltaktivisten ermordet. Die drei tödlichsten Länder: Mexiko, Kolumbien und Brasilien.
Luis Misael Socarras kämpft in Kolumbien gegen die Kohlemine El Cerrejón. Gemäss Eigenaussagen hat er schon mehrere Anschläge überlebt – sein Dorf verlässt er seit einigen Jahren meist nur noch mit schusssicherer Weste.
Das Leben von Umweltschützern in Mexiko, Kolumbien und Brasilien kann man auch aus der Schweiz heraus unterstützen: «Bewusster Konsum kann einen Unterschied machen», sagt Robert Bachmann von Public Eye. Wichtiger als individuelles Handeln seien jedoch strukturelle Veränderungen über Gesetze.
Über 1700 – so viele Umweltaktivisten wurden gemäss der Organisation Global Witness seit dem Jahr 2011 weltweit ermordet. Das entspricht fast einem Toten an jedem zweiten Tag. Tatsächlich dürften es bedeutend mehr sein. Die Organisation geht von einer hohen Dunkelziffer aus.
Schüsse überlebt
Auch Luis Misael Socarras ist schon mehrmals fast in der Statistik von Global Witness gelandet. Der 53-Jährige engagiert sich in Kolumbien gegen El Cerrejón, die grösste Kohlemine Lateinamerikas, die im Besitz des Schweizer Unternehmens Glencore ist. «Drei Schüsse trafen das Auto, in dem ich sass», erzählt Socarras 20 Minuten vom letzten Anschlag im Februar. «Doch ich hatte Glück.» Als er bemerkte, dass ein Motorrad seinem Wagen verdächtig lange folgte, wechselte er kurzerhand den Sitzplatz – wenig später trafen die Schüsse den leeren Platz im Auto.
Socarras hat laut Eigenangaben seit 2002 acht Attentate überlebt. Immer wieder erhält er Drohbriefe. Sein Dorf, an dessen Eingang einer seiner Söhne als Wache postiert ist, verlässt er meist nur mit einer schusssicheren Weste. «Ich muss ständig alarmiert sein», sagt der Aktivist. «Ich habe keine Freiheit und kein Sozialleben mehr.»
Kolumbien ist laut Global Witness weltweit das zweittödlichste Land für Umwelt- und Menschenrechtsaktivisten. 33 Aktivisten wurden 2021 ermordet. Mehr sind es nur in Mexiko: 54 Aktivisten. Über die Hälfte der 2021 registrierten Anschläge geht auf Mexiko, Kolumbien und Brasilien zurück.
Schweizer Aktivisten für Kolumbien
«Unser Kampf in der Schweiz hängt mit jenen in Mexiko, Kolumbien oder Brasilien zusammen», sagt Annika Lutzke vom Klimastreik Schweiz. Die 20-Jährige spricht davon, dass es mitunter Schweizer Unternehmen seien, gegen die die Aktivisten auf der anderen Seite der Welt vorgingen. Zudem gehe der europäische und schweizerische Energie- und Ressourcenverbrauch auf Kosten von Gemeinschaften im Globalen Süden – während der Profit daraus in die Länder des Globalen Nordens fliesse. «Wir führen etwas fort, was wir vor Hunderten von Jahren begonnen haben», sagt Lutzke in Anspielung auf den Kolonialismus.
Kann man aus der Schweiz heraus etwas gegen das Sterben tun? Ja, sagt Robert Bachmann von Public Eye: «Individuelles Konsumverhalten hat einen Einfluss und bewusster Konsum kann einen Unterschied machen.» So könne es helfen, sich an Labels zu orientieren – «sofern man sich ihrer Grenzen bewusst ist», heisst es auf der Webseite von Public Eye. Ein Beispiel aus der Landwirtschaft: «Immer wieder werden Studien veröffentlicht, die aufzeigen, dass auch zertifizierte Bäuerinnen und Bauern keine existenzsichernden Preise für ihre Produkte erhalten und sich kaum aus der Armut befreien können.»
Strukturelle Lösungen
Zusätzlich listet Public Eye auch Massnahmen auf, wie jeder über den Konsum hinaus aktiv werden kann: Das Umfeld sensibilisieren, bei Firmen nachfragen, wie Produkte hergestellt werden, sich engagieren und politisch aktiv werden – und bei Wahlen und Abstimmung auf Themen wie Ökologie und soziale Fragen achten. Entsprechende Wahlhilfen bietet zum Beispiel die Webseite smartvote.ch.
Dennoch betont Bachmann: Oft seien die Ursachen der Probleme strukturell, dementsprechend müssten es auch die Lösungen sein. «Es braucht bessere Gesetze und Regulierung – die Verantwortung kann nicht allein bei den Konsumierenden liegen.» Public Eye setze sich dafür ein, die Wirtschaft sozial- und umweltverträglicher zu gestalten und etwa die Einhaltung von Menschenrechten durch staatliche Akteure und Schweizer Konzerne weltweit einzufordern.
Grossunternehmen in der Pflicht
Ein Gedanke, der an die Konzernverantwortungsinitiative erinnert: Die Initiative forderte, dass Unternehmen mit Sitz in der Schweiz auch ausserhalb der Schweiz die Menschenrechte und internationalen Umweltstandards einhalten müssen. Obwohl sie im Jahr 2020 an der Urne eine Mehrheit von 50,7 Prozent erreicht hatte, scheiterte sie am Ständemehr.
Angenommen wurde jedoch der indirekte Gegenvorschlag: Ab 2023 müssen bestimmte Grossunternehmen daher jährlich zu Themen wie Menschenrechten, Umwelt und Korruption Bericht erstatten.

Der kolumbianische Umweltaktivist Luis Misael Socarras erhält regelmässig Drohbriefe. «Wir werden diese Ratten dort treffen, wo es am meisten weh tut», steht in einem von ihnen.
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