Das stehende Klassenzimmer
Die Schulbank drücken war gestern. Heute wird im Stehen gelernt - zumindest in Wil im Kanton St. Gallen. Dort wurde heute das erste Klassenzimmer ohne Stühle in Betrieb genommen.
- von
- Tina Fassbind
Für die Schülerinnen und Schüler der Kantonsschule Wil brechen ab heute neue Zeiten an: Sie werden im ersten Klassenzimmer ohne Stühle unterrichtet. Künftig büffeln sie an Stehpulten und in Socken auf elastischen Matten, den sogenannten KyBoundern. Es ist das erste Schulzimmer der Schweiz, das auf diese Art eingerichtet wird.
Training während des Unterrichts
«Der Mensch legt heute durchschnittlich 1,2 Kilometer pro Tag zurück. Wir wollen mit unserem Angebot mehr Bewegung in den Alltag einbringen. Dazu muss dort angesetzt werden, wo der Mensch den Grossteil des Tages verbringt: im Büro, in der Schule, im Haushalt», erklärt Claudio Minder, Mediensprecher der kybun ag, die das Klassenzimmer in Wil ausgerüstet hat.
Damit sich die Schüler künftig nicht mehr in die Stühle sacken lassen können, bekommt jeder ein höhenregulierbares Stehpult. Hinzu kommt eine KyBounder-Matte, die laut Minder ein weiches, natürliches Stehen ermöglicht, «sonst bekommt man schwere Beine.» Auf dem KyBounder ist man in permanenter Bewegung. «Der Körper muss ständig ausbalancieren, als ob man auf einem Trampolin steht. Auf diese Weise werden auch die tiefer liegenden Muskeln automatisch laufend in Anspruch genommen. Es ist also ein eigentliches Training.»
Ziel: Hälfte des Unterrichts im Stehen
Gegenwärtig ist lediglich ein Klassenzimmer der Kantonsschule Wil mit Stehpulten und Matten ausgerüstet. Mehrere Klassen werden dort im Turnus unterrichtet. Länger als ein bis drei Stunden müssen die Schüler allerdings nicht im Stehen verbringen, obwohl das theoretisch denkbar ist. Ziel wäre nämlich gemäss Claudio Minder, dass die Hälfte des täglichen Unterrichts stehend absolviert wird. Die Wiler Kantischüler seien jedenfalls nach anfänglicher Skepsis positiv überrascht vom Unterricht ohne Stuhl. «Sie können ihren Bewegungsdrang abbauen und das finden sie sehr angenehm.»
Die Fitness im Klassenzimmer kostete inklusive 26 Stehpulten stolze 20'000 Franken. Alleine für die KyBounder-Matten müssen ab 98 Franken pro Stück berappt werden. Trotzdem haben bereits zehn weitere Schulhäuser Interesse an dieser Einrichtung angemeldet. Minder ist zuversichtlich, dass das System weiter Schule machen wird: «Im Moment kommen die Anfragen mehrheitlich aus der Ostschweiz. Die Kreise weiten sich allerdings mehr und mehr aus.»