«Time-out» mit Klaus ZauggDas wahre Biel, der wahre SC Bern
Nach dem Derby EHC Biel gegen den SC Bern (8:4) steht die Frage im Raum, die am Ende der Saison über Jobs und Millionen entscheidet: Haben wir das wahre Biel und den wahren SC Bern gesehen?
- von
- Klaus Zaugg
Zehn Tage liegen dazwischen: 5:0 siegte der SC Bern mit defensivem Dieselhockey am 12. September. Die neutrale Zone wasserdichter als das Schweizer Bankgeheimnis, Torhüter Marco Bührer besser abgeschirmt als Russlands Präsident bei seinem Staatsbesuch in der Schweiz. Biel chancenlos. Der SCB souverän. Der wahre SC Bern? Das wahre Biel? Inzwischen wissen wir: Der SCB ist nicht souverän und Biel nicht chancenlos. Zehn Tage nach dem 0:5 von Bern hat Biel den gleichen Gegner mit 8:4 gedemütigt.
Sicher ist: Bei diesem 8:4 war erstmals die Handschrift des neuen Trainers Kent Ruhnkes zu sehen. Seine Mannschaft hat auf dem Eis «gerockt und gerollt». Oder eben «geruhnkt und gerollt». Biel hat ein paar der «ewigen Tugenden» des Eishockeys, gültig seit der Erfindung dieses Spiels, erfolgreich umgesetzt und der neuen Regelauslegung angepasst: Im Spiel in allen heiklen Situationen die einfachen Lösungen wählen. In jedem Zweikampf den Gegner schmerzhaft spüren lassen, dass man dieses Spiel gewinnen will und wird. Vorne der Mut zum Abschluss. Und an der Bande ein Coach, der ahnt, was seine Jungs brauchen. Kent Ruhnke ist und bleibt einer der wenigen Coaches, die ein Spiel zu beeinflussen verstehen.
Schachzüge zu Beginn und zum Abschluss
Er eröffnet und beendet das Derby mit einem Schachzug: Er beordert Curtis Brown, den kanadischen Topskorer, in die Verteidigung. Brown ist ein Defensivstürmer mit der Begabung, das Spiel immer ein paar Züge im Voraus zu erkennen, exzellent im Spiel ohne Scheibe. Und tatsächlich schnappt er genau dank dieser Fähigkeit die Scheibe im gegnerischen Verteidigungsdrittel und ermöglicht das 1:0. Fortan kontrolliert Ruhnke das Spiel und die Bieler den Gegner. Dazwischen nimmt Ruhnke zum richtigen Zeitpunkt sein Time-out. Und in der Schlussphase der entscheidende Schachzug, als der SCB innert 43 Sekunden mit zwei Treffern auf 4:5 verkürzt hat (50.). Biels Bandengeneral nimmt Torhüter Reto Berra, der eine starke Partie gespielt hat, raus und schickt Pascal Caminada, den traurigen Helden beim 0:5 im Spiel in Bern, in dieser heiklen Phase ins Tor.
Das also ist der wahre, neue EHC Biel. Selbstsicher, erfolgreich. Oder sagen wir es so: Wir haben zum ersten Mal gesehen, erlebt, was dieses neue Biel unter Ruhnke zu leisten vermag. Es war ein festlicher Abend. Der Puck ging Biels Wege, der Name des Gegners sorgte dafür, dass jeder bei der Sache und der Adrenalinspiegel hoch war. Aber es werden nicht jeden Abend Festspiele zelebriert. Am Freitag kehrt der Alltag zurück. Es kommt «nur» Ambri.
Bern wusste, was passieren kann
Und der SC Bern? Die Repräsentanten des grössten, reichsten und wichtigsten Hockeyunternehmens im Lande gemahnten in ihrem ganzen Wesen und Wirken an die sportlich unglückselige Vergangenheit, die geprägt ist vom Versagen im entscheidenden Moment (Playoffs). Zweimal waren die Stadtberner letzte Saison in Biel 1:6 überfahren worden. Sie wussten also, was in Biel passieren kann. Aber sie haben so gespielt, als hätten sie dies vergessen.
Es gibt viele Entschuldigungen
Gut, es gibt viele Entschuldigungen. Die Reihen sind in der Abwehr stark gelichtet (Hänni, Furrer, Meier, Rytz fehlten) und auch Christian Dubé ist verletzt. Also erschwerte Umstände. Derby. Eine aussergewöhnliche Situation. Ein aufgeputschter Gegner. Emotionen auf und neben dem Eis. Adrenalinschübe. Eine Extremsituation. Eigentlich genau so wie in den ...Playoffs.
SCB den Drucksituationen nicht gewachsen?
Wir haben also bei diesem Derby den wahren SCB, den Playoff-SCB der letzten zwei Jahre gesehen. Unfähig, mit einer Extremsituation, mit entschlossenem Widerstand fertig zu werden. Mit einem sehr guten Torhüter zwar. Aber Marco Bührer ist kein grosser Goalie, der seiner Mannschaft Spiele aus dem Feuer reisst. Er ist stark, wenn seine Vorderleute konzentriert bei der Sache sind und alles in geordneten Bahnen läuft - bereits dreimal hat er diese Saison kein Gegentor kassiert. Aber wenn der Puck nicht den Weg seiner Mannschaft geht, dann ist er zerbrechlich wie eine billige Uhr und im Schlussdrittel war Bührer in Biel der schwächste Mann auf dem Eis.
Ist der SCB einfach zu gut?
Ist der SCB einfach zu gut, zu talentiert, zu arrogant, um einfaches, raues, rustikales Hockey, Playoffhockey, zu spielen?
Sagen wir es so: Wenn der Weg des SC Bern von der wohlstands- und talentverwahrlosten Interessengemeinschaft zur entschlossenen, urigen Playoffmannschaft der Wegstrecke vom Bieler Eisstadion zur PostFinance Arena in Bern entspricht, dann ist der SCB noch nicht einmal vom Parkplatz in Biel weggekommen.
Mit grösster Wahrscheinlichkeit haben wir im Derby das wahre Biel und den wahren SCB gesehen.