Britische Sars-CoV-2-VarianteDas wissen wir über die Corona-Mutationen in Grossbritannien
Die neue Variante des Coronavirus in Grossbritannien sorgt europaweit für Aufregung. Das sind die drängendsten Fragen und Antworten zu der Sars-Cov-2-Mutation.
Darum gehts
Die in Grossbritannien nachgewiesene Variante des Sars-CoV-2-Erregers verbreitet sich offenbar deutlich schneller als bisherige Varianten.
Es ist die erste mutierte Version des Virus, die Experten beunruhigt.
Dafür gibt es mehrere Gründe.
Allerdings gibt es auch gute Neuigkeiten: Die Impfstoffe dürften zunächst trotzdem weiterhin wirken.
Kaum haben die Zulassungen von Impfstoffen gegen Sars-CoV-2 Hoffnung auf eine baldige Eindämmung der Pandemie geweckt, kommt aus Grossbritannien eine Hiobsbotschaft: Dort ist eine Variante des Virus aufgetaucht, die nach ersten Erkenntnissen bis zu 70 Prozent ansteckender ist als jene, mit der wir es in Europa bisher hauptsächlich zu tun haben.
In London soll sie zuletzt wohl schon für 60 Prozent der Neuinfektionen verantwortlich gewesen sein. Der britische Gesundheitsminister Matt Hancock beschreibt die Situation als «ausser Kontrolle». Das sind die wichtigsten Punkte:
Bei Sars-CoV-2 wurden bislang rund 300’000 Mutationen nachgewiesen – warum gilt ausgerechnet die der britischen Variante als besorgniserregend?
Tatsächlich sind Mutationen von Viren nichts Aussergewöhnliches, das geschieht immer wieder und war auch für Sars-CoV-2 zu erwarten. Denn: Je mehr Menschen sich mit Sars-Cov-2 infizieren, desto grösser ist die Wahrscheinlichkeit und Häufigkeit von zufälligen Mutationen beim Virus. Meist sind die Anpassungen minim. Bei der in Grossbritannien nachgewiesenen Veränderung aber kommen mehrere Aspekte zusammen, die es notwendig machen, der Variante besondere Aufmerksamkeit zu schenken:
Sie verdrängt schnell andere Versionen des Virus.
Sie scheint sich schneller als bisher auszubreiten.
Sie weist 17 potenziell wichtige Veränderungen auf, darunter auch mehrere Mutationen am sogenannten Spike-Protein, jener stachelartigen Struktur, mit der das Virus an menschliche Zellen andockt, um in sie einzudringen. Die bedeutendste wird N501Y genannt. Machen es diese Veränderungen dem Virus leichter, ins Innere zu gelangen, verschafft ihm das einen Vorteil.
Entscheidend sei es nun, festzustellen, «ob diese Variante Eigenschaften besitzt, die Auswirkungen auf die Gesundheit von Menschen, die Diagnostik und die Impfstoffe haben», so Genetik- und Virus-Experte Julian Hiscox von der Universität Liverpool. Für gesicherte Aussagen ist es jedoch noch zu früh, da die Variante noch zu neu ist. Entsprechende Untersuchungen laufen aber bereits.
Wie schnell breitet sich die neue Virus-Variante aus?
Ersten epidemiologischen Modellen zufolge soll sie bis zu 70 Prozent ansteckender sein. Der natürliche R-Wert soll bei 3 liegen, berichtet unter anderem Stern.de. Eine infizierte Person würde somit drei Mitmenschen anstecken, wodurch sich ohne Schutzmassnahmen ein exponentielles Wachstum ergeben würde. Sollten sich diese ersten Einschätzungen bestätigen, würde das die Gesundheitssysteme, die in mehreren Ländern sowieso schon seit längerem am Anschlag sind, noch mehr unter Druck setzen oder kollabieren lassen können.
Wie konnte es zu den vielen Mutationen kommen?
Die wahrscheinlichste Erklärung ist gemäss BBC, dass die Variante bei einem Patienten mit einem geschwächten Immunsystem aufgetaucht ist, das nicht in der Lage war, das Virus zu besiegen. Stattdessen wurde der Körper zu einem Nährboden für das Virus, um zu mutieren.
Wird die Infektion dadurch tödlicher?
Es gibt keine Anzeichen dafür, dass dies der Fall ist, obwohl dies überwacht werden muss. Zumindest nicht direkt. Denn allein die Zunahme der Übertragung würde ausreichen, um Spitäler vor Probleme zu stellen. Wenn die neue Variante dazu führt, dass mehr Menschen schneller infiziert werden, würde das wiederum dazu führen, dass mehr Menschen im Krankenhaus behandelt werden müssen.
Können die Corona-Impfstoffe etwas gegen die neue Variante ausrichten?
Derzeit lässt sich das bejahen. «Das Spike-Protein ist ein grosses Protein, wo das Immunsystem an vielen verschiedenen Stellen angreifen kann. Es ist nicht zu erwarten, dass einzelne Mutationen die Erkennung komplett verhindern. Aber das ist schon etwas, das man beobachten muss», sagt Richard Neher, Forschungsgruppenleiter am Biozentrum der Universität Basel, im Interview mit Spiegel.de. Es könne aber schon sein, dass das Immunsystem von Geimpften neuere Varianten des Virus irgendwann einmal nicht mehr ganz so gut erkennt. «Aber in den kommenden zwei, drei Jahren erwarte ich nicht, dass sich die Eigenschaften des Virus sehr stark ändern.»
Zur Beobachtung ruft auch Ravi Gupta, Professor für klinische Mikrobiologie an der University of Cambridge, auf: «Dieses Virus ist potenziell auf einem Weg zur Impfstoff-Escape.» Das heisst: Das Virus verändert sich so, dass es die volle Wirkung des Impfstoffs umgeht und weiterhin Menschen infiziert. Die ersten Schritte in diese Richtung habe es bereits gemacht. Entwickelt es sich auf diese Weise weiter, schlussfolgert die BBC, würde das uns in eine ähnliche Situation wie bei der Grippe bringen, wo die Impfstoffe regelmässig aktualisiert werden müssen.
Doch auch damit könnten die Menschen wohl auskommen: Die neuartigen mRNA-Impfstoffe gelten nämlich als so schnell und vergleichsweise leicht anzupassen, dass neue Virus-Variationen bestenfalls kein Problem darstellen werden.
Beschränkt sich die britische Variante ausschliesslich auf Grossbritannien?
Nein. Laut der Weltgesundheitsorganisation (WHO) wurde die Virus-Variante auch bereits neunmal in Dänemark und jeweils einmal in den Niederlanden und Australien nachgewiesen. Die N501Y-Mutation, wie die gravierendste Veränderung am Spike-Protein genannt wird, wurde laut dem Virologen Julian Tang von der University of Leicester im April in Brasilien, im Juni und Juli in Australien und im Juli in den USA entdeckt. Seit Sonntagabend ist bekannt, dass die Mutation auch bei einem Patienten in Italien nachgewiesen wurde. Er sei zusammen mit einer weiteren Person in den vergangenen Tagen aus Grossbritannien zurückgekehrt und mit dem Flugzeug in Rom gelandet. Der Patient befinde sich nun in Quarantäne.
Ob das mutierte Virus auch bereits in der Schweiz ist, ist unbekannt. Doch sind am vergangenen Wochenende über 60 Flüge aus Grossbritannien am Genfer Flughafen Cointrin registriert worden. Laut RTS sind um die 10'000 britische Touristen in die Schweiz gereist.
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