Getötetes Mädchen in Freudenberg (D): Das sagt ein Kriminologe zum Fall der getöteten Luise (12)

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Getötetes Mädchen aus Freudenberg (D)«Dass es keine Verurteilung geben wird, ist für die Eltern eine Belastung»

Luise (12) wurde erstochen. Bei den mutmasslichen Täterinnen handelt es sich um zwei gleichaltrige Mädchen. Ein Kriminologe ordnet den Vorfall ein. 

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Am Sonntagnachmittag war die Leiche der zwölfjährigen Luise gefunden worden.

Am Sonntagnachmittag war die Leiche der zwölfjährigen Luise gefunden worden.

Imago/Rene Traut
Zwei Mädchen im Alter von zwölf und 13 Jahren haben gestanden, Luise erstochen zu haben. Aus Persönlichkeits- und Jugendschutzgründen geben die Behörden nur wenige Details bekannt. (Symbolbild)

Zwei Mädchen im Alter von zwölf und 13 Jahren haben gestanden, Luise erstochen zu haben. Aus Persönlichkeits- und Jugendschutzgründen geben die Behörden nur wenige Details bekannt. (Symbolbild)

Imago/Funke Foto Services
Laut Kriminologe Dirk Baier macht es den Eindruck, dass die mutmasslichen Täterinnen eine hohe kriminelle Energie aufweisen.

Laut Kriminologe Dirk Baier macht es den Eindruck, dass die mutmasslichen Täterinnen eine hohe kriminelle Energie aufweisen.

20 Minuten/jas

Darum gehts

  • Ein zwölfjähriges Mädchen wurde in Freudenberg (D) mit «zahlreichen Messerstichen» tot aufgefunden.

  • Bei den mutmasslichen Täterinnen handelt es sich um zwei Mädchen im Alter von zwölf und 13 Jahren.

  • Kriminologe Dirk Baier ordnet den Vorfall ein. 

Die zwölfjährige Luise wurde am Sonntag im Bundesland Rheinland-Pfalz (D) tot aufgefunden. Wie die Ermittelnden an einer Medienkonferenz am Dienstag bekannt gaben, verstarb das Mädchen infolge «zahlreicher Messerstiche». Bei den mutmasslichen Täterinnen handle es sich um zwei Mädchen im Alter von zwölf und 13 Jahren. Laut der zuständigen Staatsanwaltschaft, gibt es für die Mädchen keine strafrechtlichen Sanktionen, da sie unter 14 Jahre und damit strafunmündig seien. Dirk Baier, Leiter des Instituts für Delinquenz und Kriminalprävention an der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften (ZHAW) ordnet die Tat ein.

Herr Baier, was sagen Sie zur Tat?

Die Tat ist grauenhaft und schockierend. Solche Ereignisse sind aber glücklicherweise sehr selten. Pro Jahr werden in Deutschland im Durchschnitt zwölf unter 14-Jährige als Beschuldigte von Straftaten gegen das Leben registriert – davon ist nur eine Minderheit weiblich. Es gibt daher keinen Wissensstand bezüglich der Erklärungsansätze solcher Taten. Möglicherweise gab es im Vorfeld einen Konflikt zwischen den Beteiligten. Möglicherweise spielt es eine Rolle, dass es wohl zwei Täterinnen waren, die sich gegenseitig in ihren Aktionen aufgestachelt haben.

Wie schätzen Sie die mutmasslichen Täterinnen ein?

Es macht den Eindruck, dass wir es mit Personen mit hoher krimineller Energie zu tun haben. Man muss aber zwischen der Tat und den Täterinnen differenzieren. Eine solch brutale Tat muss nicht notwendigerweise von brutalen, völlig empathielosen Personen begangen werden. Solche Übergriffe können auch aus einer situativen Eskalation heraus entstehen. In diesem Fall muss man aber bedenken, dass die Täterinnen anscheinend ein Messer dabei hatten und damit zumindest in Kauf genommen haben, es zur Drohung oder Ähnlichem einzusetzen.

Wie ist eine solche Tat für die Eltern der Zwölf- und 13-Jährigen?

Hier sind mindestens zwei Strategien denkbar: Erstens, dass Eltern die Beteiligung ihres Kindes komplett leugnen und von sich weisen, dass es so etwas Grausames getan hat. Erst mit der Zeit realisieren sie dann durch die polizeilichen Beweise, dass ihr Kind so gehandelt hat, wobei sie dann vielleicht versuchen, die Schuld bei der Mittäterin zu suchen. Zweitens können Eltern unter der Schuld, die ihr Kind auf sich geladen hat, und damit indirekt auch auf sie, mehr oder weniger zusammenbrechen. Das familiäre Zusammenleben ändert sich komplett, bis hin zur Scheidung oder ähnlichen, auch selbstverletzendes Verhalten ist denkbar. Polizei, Staatsanwaltschaft und das Jugendamt werden in den kommenden Monaten sehr genau die familiäre Situation untersuchen – auch das ist eine Belastung.

Für die Mädchen gibt es keine strafrechtlichen Sanktionen. Wie ist das für die Eltern von Luise?

Angehörige von Opfern wünschen sich in der Regel keine besonders harten Strafen. Sie wollen aber, dass es eine Strafverfolgung gibt und die Täterschaft die Strafe erhält, die ihr zusteht. Diesem Bedürfnis wird nicht Rechnung getragen, wenn es keinen Strafprozess mit Verurteilung gibt. Das ist für die Angehörigen eine zusätzliche Belastung. Gleichwohl bedeutet Strafunmündigkeit nicht, dass nun gar nichts passiert. Es erfolgt keine gerichtliche Verurteilung, das ist richtig. Die Täterinnen und die Familien werden dennoch Reaktionen erleben. Das Jugendamt wird beispielsweise prüfen, ob eine Fremdplatzierung notwendig wird.

Was würde mit den Mädchen in der Schweiz passieren?

In der Schweiz sind Jugendliche ab dem vollendeten zehnten Altersjahr strafmündig. Ab dann werden sie vom Jugendstrafrecht erfasst und können mit jugendstrafrechtlichen Schutzmassnahmen sowie Strafen sanktioniert werden. Laut der Oberjugendanwaltschaft des Kantons Zürich sind für zwölf- und 13-jährige Täterinnen und Täter geringfügige Strafen vorgesehen. «Die Höchststrafe ist eine persönliche Leistung (unentgeltliche Arbeitsleistung) von maximal zehn Tagen», sagt Sprecherin Esther Pioppini. Wichtig sei aber, dass im Jugendstrafrecht sämtliche Schutzmassnahmen ab dem zehnten Altersjahr greifen und Täterinnen und Täter bis zum vollendeten 25. Altersjahr in ein Erziehungsheim oder eine Klinik eingewiesen und dort auch geschlossen geführt werden können. «Weil der Täter noch erzieherisch und/oder therapeutisch beeinflusst werden kann, stehen dabei die Schutzmassnahmen im Vordergrund.»

Wie kann man die Eltern von Luise jetzt unterstützen?

Es ist sehr wahrscheinlich, dass sich die Eltern Vorwürfe machen. Sie werden sich Fragen stellen wie: «Hätte ich das verhindern können, wenn ich früher danach geschaut hätte, mit wem meine Tochter Kontakt hat?» Zudem können Fragen dazu auftauchen, was gewesen wäre, hätten sie die Tochter an diesem Tag bei ihrer Freundin abgeholt oder wenn sie häufiger ihre Sorgen in Erfahrung gebracht hätten. Die Beschäftigung mit diesen Fragen ist aber letztlich wenig hilfreich, weil das Geschehene nicht rückgängig gemacht werden kann. Die Eltern dürfen und müssen trauern. Sie müssen sich aber auf die Zukunft konzentrieren, nicht auf die Vergangenheit. Allein schafft man das nicht. Hierfür ist ein gutes soziales Netzwerk und professionelle Hilfe nötig. 

Bist du oder ist jemand, den du kennst, von sexualisierter, häuslicher, psychischer oder anderer Gewalt betroffen?

Hier findest du Hilfe:

Polizei nach Kanton

Beratungsstellen der Opferhilfe Schweiz

Lilli.ch, Onlineberatung für Jugendliche

Frauenhäuser in der Schweiz und Liechtenstein

Zwüschehalt, Schutzhäuser für Männer

LGBT+ Helpline, Tel. 0800 133 133

Alter ohne Gewalt, Tel. 0848 00 13 13

Dargebotene Hand, Sorgen-Hotline, Tel. 143

Pro Juventute, Beratung für Kinder und Jugendliche, Tel. 147

Beratungsstellen für gewaltausübende Personen

Trauerst du oder trauert jemand, den du kennst?

Hier findest du Hilfe:

Dargebotene Hand, Sorgen-Hotline, Tel. 143

Seelsorge.net, Angebot der reformierten und katholischen Kirchen

Muslimische Seelsorge, Tel. 043 205 21 29

Jüdische Fürsorge, info@vsjf.ch

Lifewith.ch, für betroffene Geschwister

Verein Regenbogen Schweiz, Hilfe für trauernde Familien

Pro Juventute, Beratung für Kinder und Jugendliche, Tel. 147

Pro Senectute, Beratung älterer Menschen in schwierigen Lebenssituationen

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