Olympique LyonnaisDer Absturz des Serienmeisters
In Frankreich konnte in den letzten Jahren kein Team Olympique Lyonnais das Wasser reichen. OL gewann sieben Meistertitel in Serie. In der Ligue 1 drohen jetzt aber alle Felle davon zu schwimmen, denn Lyon bezahlt für seine vielen kleinen Fehler und droht auseinanderzufallen.
- von
- Herbie Egli
Erstmals seit über sieben Jahren spielt Olympique Lyonnais keine Rolle mehr im Kampf um die Meisterschaft in der Ligue 1. Französischer Meister wird entweder Leader Olympique Marseille oder der punktgleiche Ligapokalsieger aus Bordeaux. Warum der Seriensieger in dieser Saison durch die Liga stolpert, hat viele Gründe.
Die Sturm-Probleme sind hausgemacht
Unerklärlich und unverständlich war im vergangenen Sommer die praktizierte Personalpolitik. War es Überheblichkeit, dass man mit Hatem Ben Arfa einen Stammspieler aus dem eigenen Nachwuchs an Olympique Marseille verkaufte? Das Ergebnis dieses Wechsels: Der Konkurrent ist Tabellenführer und der 22-jährige Nationalspieler trifft das Tor - im Gegensatz zu den hochgelobten Lyon-Profis. Der einzige Offensiv-Spieler, der höchsten nationalen und europäischen Ansprüchen genügt, ist Karim Benzema mit 14 Toren.
Zwar stehen auf dem Papier, mit dem Brasilianer Ederson (5 Treffer) und 14-Millionen-Einkauf Makoun (4 Treffer) zwei weitere Angreifer im Kader, doch Torgefahr entwickeln diese beiden Spieler nicht. Sidney Govou ist in dieser Saison immer wieder verletzt und hat sich im Januar einen Achillessehnenriss zugezogen und wird lange pausieren müssen. Und genau in dieser Situation schickte Lyon seinen Brasilianer Fred in seine Heimat, obwohl der Angreifer in den letzten Jahren regelmässig etwa zehn Treffer pro Saison zum Titelgewinn beisteuerte.
Trainer und Team ein «Casting-Fehler»
Der genauso umtriebige wie ambitionierte Präsident Jean-Michel Aulas ist nicht für seine grosse Geduld bekannt. 1987 übernahm er den Verein in der 2. Liga und posaunte schon damals: «Ich werde Lyon an die Spitze führen.» National gelang ihm dies eindrücklich, doch international bleiben viele Wünsche offen. Trotz dem Gewinn von sieben Meisterschaften nacheinander wechselte Aulas fünfmal den Trainer und betitelte den im Sommer entlassenen Alain Perrin nach dem Double-Gewinn kurzerhand als «Casting-Fehler». Doch Perrin hatte sich ein Team zusammengestellt, mit dem nun Claude Puel arbeiten muss. Und die Chemie stimmt auch teamintern nicht.
Angreifer Govou liess sich in «france football» mit den Worten zitieren: «Entweder es gibt eine Einheit, oder es gibt sie nicht. Bei uns jedenfalls existiert sie nicht.» Eine brisante Aussage, wenn man bedenkt, dass Olympique Lyonnais zu diesem Zeitpunkt noch an der Tabellenspitze stand. Inzwischen droht Lyon sogar das Verpassen der Champions League-Qualifikation und auch dies ist ein Problem der Vereinspolitik. Aulas kämpfte um mehr Fernsehgelder und machte damit die jetzigen Konkurrenten stark.
Schwächen und Schadenfreude der Konkurrenz
Sehr interessant ist auch die Statistik. Sie offenbart teilweise eine erschreckende Wahrheit: Wären die Spiele mit Beteiligung von Olympique Lyonnais bereits nach 45 Minuten beendet, wären die Rhonestädter noch immer Leader der Ligue 1. In der zweiten Halbzeit ging dann jedoch vieles bachab: In einer Vergleichstabelle der zweiten Halbzeiten hätte OL bereits 17 Punkte Rückstand auf Marseille. Und ein Fakt ist auch, dass Lyon in 17 Heimspielen lediglich 26 Tore erzielte und damit über die Hälfte aller Spiele im Stade Gerland nicht gewinnen konnte.
Nach sieben Jahren der Chancenlosigkeit hat sich auch bei den Mitstreitern einiges an Frust aufgebaut. Der ehemalige Marseille-Trainer Jose Anigo formulierte treffend, was andere sich in der Öffentlichkeit nicht trauen zu sagen: «Alle haben Lust, dass Lyon mal so richtig auf die Schnauze fällt.» Und jetzt ist es soweit: Nebst der Champions-League-Qualifikation könnte Lyon sogar den UEFA-Cup verpassen, denn Paris und Toulouse sitzen OL im Nacken.
Lyon droht der Zerfall
Ohne den Reiz der Champions League wird es für Lyon noch schwerer, das Kader zusammenzuhalten. Karim Benzema wird von Barça, den Bayern und auch Inter Mailand gejagt, Govou hat seinen 2010 auslaufenden Vertrag schon jetzt gekündigt und weitere Spieler haben auch die Nase voll und wollen weg. Ausser den aufstrebenden Talenten Mounier und Pjanjic sieht die Personalsituation nicht rosig aus.
Und genau jetzt droht auch Aulas mit Rücktritt. Er kämpft um ein neues, überdimensionales Stadion mit viel Infrastruktur drumherum. Sagenhafte 700 Millionen Franken soll es kosten und die Stadt soll rund 35 Prozent der Kosten übernehmen. Die Politiker sträuben sich jedoch gegen solch eine enorme Ausgabe für einen einzelnen Sportverein. Ganz wie Sion-CC im Wallis poltert Lyon-Aulas nun: «Ich ziehe das durch! Entweder in Lyon, oder in einer anderen Stadt mit einem anderen Verein.»