Uttwiler Politikerin ist empört«Der Anlass hat mit Erdogan nichts zu tun»
War die Nachstellung von Kriegsszenen mit Kindern Propaganda der türkischen Regierung? Die Gemeindeschreiberin von Uttwil TG widerspricht vehement.
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- chi
In einer Mehrzweckhalle in Uttwil TG hatten Schweizerisch-türkische Primarschüler mit Spielzeugwaffen die Schlacht von Gallipoli aus dem Ersten Weltkrieg nachgespielt. Die Veranstaltung fand im Rahmen des Unterrichts für «Heimatliche Sprache und Kultur» (HSK) statt.
Gemäss der Berichterstattung des «Sonntagsblick» vor einigen Tagen, sassen aus der Türkei angereiste Regierungsfunktionäre im Publikum. Der Vorwurf einer Erdogan-Propanandaveranstaltung stand im Raum. Dem widerspricht die Uttwiler Gemeindeschreiberin Aliye Gül in der «Thurgauer Zeitung» vehement. Im Gegenteil seien die Organisatoren Kemalisten und hätten mit Erdogans Politik nichts zu tun. Die Schlacht von Gallipoli werde in der Schweiz schon lange gefeiert und sei nie ein Problem gewesen.
Gallipoli vergleichbar mit Morgarten
Die Schlacht von Gallipoli gilt als Geburtsstunde der türkischen Republik. Für Gül, die vier Jahre für die SP im Thurgauer Kantonsrat sass, hat sie eine ähnliche Bedeutung wie die Schlacht bei Morgarten für die Schweiz. Nach dem Sieg der Türken 1916 hat Staatsgründer Kemal Atatürk das Land modernisiert und Religion und Staat getrennt. «Das ist nicht die Türkei, die Erdogan haben möchte», sagt Gül in der «Thurgauer Zeitung».
Über die vom «Sonntagsblick» erhobenen Vorwürfe ist die 50-Jährige empört. Erdogan sei an dem Anlass mit keinem Wort thematisiert worden, und «Ehrengäste aus Ankara» seien auch keine angereist. Am Anfang sei die türkische und die Schweizer Hymne gespielt worden. Zwischen einer türkischen und einer Schweizer Fahne hing ein Foto des Staatsgründers Atatürk – und diesen Namen habe Erdogan lange nicht in den Mund genommen.
Nicht nachgefragt, sondern gleich draufgehauen
Gül ist auch enttäuscht über die Kommentare der Politiker. «Da hat sich gezeigt, dass sie zum Teil keine Ahnung von der Materie hatten», sagt die türkisch-schweizerische Doppelbürgerin in der Zeitung. Man habe nicht nachgefragt, sondern gleich draufgehauen. Dadurch hätten sich die Politiker vom «Blick» für billige Propaganda einspannen lassen.
Sie selbst stehe Erdogan sehr kritisch gegenüber, betont Gül in der «Thurgauer Zeitung». Aber wenn man die Aufführung in Uttwil kritisiere, treffe das eindeutig die falschen Leute. Zusammen mit dem Dachverband türkischer Elternvereine in der Ostschweiz werde sie rechtliche Schritte gegen den «Sonntagsblick» prüfen. Eine Gegendarstellung für die Kantonsregierungen Thurgau und St. Gallen sei in Arbeit.
Gedenkfeiern auch im Aargau
Auch an anderen Orten der Schweiz haben Gallipoli-Gedenkfeiern Tradition. Entsprechende Anlässe gebe es in vielen Aargauer Gemeinden seit Jahren, berichtet die «Aargauer Zeitung». Organisisert werden sie von privaten türkischen Trägerschaften. Im Gegensatz zum Thurgau besteht im Aargau jedoch kein Zusammenhang zwischen dem HSK und den Kriegsfeiern.