Calvin-Jahr 2009: Der C-Faktor: Holländer sind echte Calvinisten

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Calvin-Jahr 2009Der C-Faktor: Holländer sind echte Calvinisten

Auch wenn Calvin in einer Stadt tätig war, die heute zur Schweiz gehört: Als das calvinistischste Volk der Welt gelten die Niederländer, zwar nicht zwingend im religiösen Sinne, aber in der Summe ihrer als typisch empfundenen Eigenschaften.

Thomas Burmeister (dpa)
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Thomas Burmeister (dpa)

Sie haben keine Gardinen vor den Fenstern, denn ordentliche Menschen haben nichts zu verbergen. Gästen servieren sie zum Kaffee nur ein einziges Biskuit, denn Mässigung ist eine Tugend. Komplimente machen sie kaum, denn Calvinisten lügen nicht.

Wie wenig derartige Klischees mit der Wirklichkeit auch zu tun haben mögen, die meisten Niederländer sind durchaus stolz darauf. Ob friesische Bauern, Amsterdamer Lebenskünstler, strenggläubige Reformierte im «Bijbelgordel» (Bibelgürtel) oder sogar Katholiken südlich des Rheins - der Calvinismus hat sie mitgeprägt.

Kein Wunder, dass ihre Calvin-Verehrung fast überschwänglich ausfällt. Neben Calvin-Bonbons gibt es Calvin-Rotwein (aus Südafrika) - versehen mit dem Hinweis, dass der Reformator einen guten Tropfen zu schätzen wusste.

Schüler wetteifern in Calvin-Wissenstests. Eine Calvin- Illustrierte rückt den Kirchenmann in die Nähe von Pop-Idolen. Und ein Kommentator kürt ihn gar zum «Obama des 16. Jahrhunderts». Nur gelegentlich sind Misstöne zu vernehmen. Hier und da wird ein «typisch calvinistischer Erziehungseifer» beklagt.

Toleranz - und Sittenstrenge

Schon Kindern wird der calvinistische Grundkonsens klar gemacht: «Doe maar gewoon, dan doe je al gek genoeg» (»Bleib mal normal, dann bist du schon verrückt genug.») Zugleich verhindert die im Land der Grachten heute weit verbreitete Toleranz, dass Grundsätze zum Spasskiller werden. Allerdings hat die Toleranz ihre Grenzen.

So musste die aus Argentinien stammende Kronprinzessin Máxima bei der Länge beziehungsweise Kürze ihrer Röcke einen Kompromiss mit den Vorstellungen der Strenggläubigen finden. Und heute noch predigen Pfarrer im Bibelgürtel, «künstliche» Krankheitsvorsorge sei zu unterlassen - darunter die Impfung von Kindern.

Alles in allem aber assoziieren Niederländer mit der Lehre des Reformators positive Werte. Bescheidenheit zum Beispiel. «Calvinistisch wie sie war, fuhr sie mit dem Rad statt mit dem Dienstwagen», lobte die Zeitung «Friesch Dagblad» in einem Nachruf auf die beliebte Staatssekretärin Dieuwke de Graaff-Nauta.

Sehr populär ist der Calvinismus-Test, den die Zeitung «Trouw» fürs Internet entwickelt hat. Da kann jeder seinen «C-Faktor» ermitteln und einiges hinzulernen. Zum Beispiel, warum Niederländer in der IT-Branche Erfolg haben. Calvinisten denken «digital», da eine Aussage für sie nur «wahr» oder «unwahr» sein kann.

Staatsgründer nahm's locker

Eher selten wird auf den Calvinismus des Staatengründers Wilhelm von Oranien (1533-1584) Bezug genommen. Er hatte die Niederländer im Kampf gegen die Unterdrücker aus dem katholischen Spanien geeint. Doch als calvinistisches Glanzlicht taugt der Fürst nicht.

Zur strengen Lehre Calvins hatte er sich nur halbherzig bekannt. Prediger schimpften, dass der anfangs lutherisch, später katholisch erzogene Deutsche, der kaum niederländisch sprach, immer wieder seinem Hang zu Zechgelagen und lockeren Sitten nachgab.

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