Herdenimmunität«Der Druck auf Ungeimpfte wird zunehmen»
Die Impfbereitschaft der Risikopatienten variiert in den Kantonen stark. Nimmt sie bei den Jüngeren nicht noch stark zu, droht die Impfkampagne ins Stocken zu geraten.
- von
- Leo Hurni
- Daniel Graf
Darum gehts
Der Fortschritt bei der Impfung der Risikopatienten unterscheidet sich je nach Kanton stark.
Längst nicht alle Risikopersonen wollen sich impfen lassen.
Ein Politiker fordert deshalb eine grossangelegte Werbekampagne, sobald genügend Impfstoff in der Schweiz ist.
Ein Immunologe und Taskforce-Mitglied ist überzeugt: Eine hohe Impfbereitschaft ist zentral für mehr Freiheiten im Sommer.
Klar bleibt: Einen Impfzwang soll es in der Schweiz nicht geben.
Sobald alle Schweizerinnen und Schweizer die Möglichkeit hatten, sich impfen zu lassen, sollen die Corona-Massnahmen auf ein Minimum beschränkt werden. Zuerst werden ältere und Risikopersonen geimpft. Nun zeigt sich aber, dass sich längst nicht alle Risikopersonen impfen lassen.
Der Kanton Bern rechnet mit fünfzig Prozent Impfwilligen. Auch im Kanton Zug ist man von einer Herdenimmunität weit entfernt. Die Impfbereitschaft beläuft sich dort auf rund 58 Prozent (siehe unten). Gemäss der aktuellsten Umfrage des Befragungsinstituts Sotomo ist die Impfbereitschaft über alle Altersgruppen zwar gestiegen, jeder Fünfte lehnt die Impfung aber nach wie vor ab.
«Wenn Roger Federer sich zur Impfung bekennt, hat das einen positiven Effekt»
Wir könnten also plötzlich vor der Situation stehen, dass mehr Impfstoff da ist, als es Impfwillige gibt, sagt GLP-Nationalrat Martin Bäumle: «Wenn bald der Impfstoff von AstraZeneca zugelassen wird, hätten wir schnell sehr viel Impfstoff zur Verfügung. Dann bräuchte es zwingend noch einmal eine Werbe- und Informationsoffensive, um die Impfbereitschaft zu steigern.»
Bäumle könnte sich eine Testimonial-Kampagne mit Bundesräten, Sportlern und Schauspielern vorstellen: «Wenn etwa Roger Federer sich öffentlich impfen lässt oder sich zur Impfung bekennen würde, hätte dies sicherlich einen positiven Effekt.»
Doch auch der «sanfte Druck» auf Ungeimpfte, etwa aus der Gastronomie und Eventbranche, wird laut Bäumle zunehmen, sobald alle sich impfen lassen konnten: «Wenn etwa Bars und Clubs wieder offen sind und Ungeimpfte für den Einlass einen negativen Test vorweisen müssen, wird das wohl vielen zu mühsam. Dann lassen sie sich möglicherweise trotzdem impfen.» Bäumle stellt aber klar: «Einen direkten Impfzwang darf es nicht geben, das wäre mit den Wertvorstellungen der Schweiz nicht vereinbar.»
«Die Leute wollen möglichst schnell ihre Freiheiten zurück»
«Der Druck auf die Impfverweigerer wird sicher zunehmen», sagt auch ETH-Immunologieprofessor und Taskforce-Mitglied Manfred Kopf. Einen Impfzwang hält er allerdings für das falsche Mittel, solange die Impfbereitschaft relativ hoch sei. Doch der Druck zur Impfung werde letztlich wohl von der Wirtschaft kommen: «Die Unternehmen wollen öffnen und die Leute wollen möglichst schnell ihre Freiheiten zurück, was dank der Impfung möglich gemacht wird.»
Das Ziel der Herdenimmunität sieht Kopf aber noch nicht verloren: «Wir sollten wegkommen von einer starren Zahl bei der eine Herdenimmunität eintritt. Egal ob 80 oder 50 Prozent geimpft sind: Es wird ein Effekt zu sehen sein, der umso grösser ist, desto mehr Leute geimpft sind. Auch in England und Israel zeigte sich schon eine deutliche Reduktion der Neuinfektionen bei einer Impfquote von ungefähr 50 Prozent», so Kopf.
Die Experten sind sich einig: Eine hohe Impfbereitschaft ist zentral für mehr Freiheiten im Sommer. Kopf rechnet damit, dass man auch in Zukunft immer wieder lokale Covid-Ausbrüche haben wird. «Wenn die Impfbereitschaft gross ist, können wir etwa auch Grossanlässe wieder ermöglichen und die Ausbrüche schnell und gut in den Griff bekommen.»
Infektiologe fordert mehr Aufklärung
Dass die Impfbereitschaft bei den Risikopersonen derzeit trotzdem tief ist, überrascht Infektiologe Christian Garzoni nicht. «Ich sehe bei den Visiten gerade bei älteren Personen oft, dass die Leute nicht genügend oder falsch über die Impfung informiert sind und sich deswegen nicht impfen lassen wollen.» Es sei deshalb wichtig, dass breit über die Gefahren der Krankheit und den Nutzen der Impfungen informiert werde.
Garzoni glaubt indes nicht, dass die Impfbereitschaft bei den Jüngeren deutlich höher sein wird als bei den Älteren, die sich schon impfen lassen konnten: «Je weniger man von der Krankheit betroffen ist, desto weniger ist man auch daran interessiert, sich zu impfen.»
Anreize für Geimpfte sieht Garzoni kritisch. «Wenn man nur noch in ein Restaurant gehen kann, wenn man geimpft ist, ist das eigentlich ein passives Zwingen zur Impfung. Aber es motiviert die Leute natürlich eher dazu, zu impfen.»
So sieht es in den Kantonen aus
Eine Umfrage von 20 Minuten bei 14 Kantonen zeigt: Die Impfbereitschaft in den Kantonen variiert stark. Beim ersten Teil der Prioritätsgruppe 1 reicht sie von 90 Prozent im Kanton Wallis bis 56 Prozent im Kanton Bern. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Kantone die Zahlen unterschiedlich monitoren und dass noch nicht überall sämtliche Risikopersonen die Möglichkeit zur Impfung hatten. Die meisten Kantone betonen zudem, dass sie davon ausgehen, dass die Impfbereitschaft noch zunehmen wird. «Mit einer Impfbereitschaft der über 65-Jährigen von 58 Prozent sind wir auf gutem Weg und stellen fest, dass sich laufend weitere Personen aus der Gruppe 1 zur Impfung anmelden», sagt auch der Mediensprecher der Gesundheitsdirektion des Kantons Zug, Aurel Köpfli. Zudem rechne man damit, dass sich weitere Personen anmelden werden, «weil sich die Sicherheit und Wirksamkeit der Impfung bestätigt. Zum anderen ist davon auszugehen, dass es in naher Zukunft Erleichterungen für geimpfte Personen gibt, etwa im Bereich des Reisens», so Köpfli.