Wahnsinn am Berg«Der Everest ist ein Tummelplatz der Eitelkeit»
Ueli Steck hat den Everest ohne Flaschensauerstoff bezwungen. Nach ihm starben vier Bergsteiger am höchsten Berg. Expeditionsleiter Mischu Wirth über den Ansturm, die Toten und Stecks Verdienste.
- von
- F. Burch
Was machten Sie, als Sie auf dem höchsten Punkt der Erde standen?
Mischu Wirth: Ich nahm Steine mit vom Gipfel. Ich dachte, dass das – weil Berge ja zusammengeschobene Erdplatten sind – eigentlich Steine vom Grund des Meeres sind. Das war schon etwas surreal. Aber ich war vor allem beschäftigt mit der Betreuung meiner Gäste. Fotos wurden geschossen, dann musste ich organisieren, dass alle wieder heil herunterkommen.
Am vergangenen Wochenende kamen am Mount Everest beim Abstieg ein Deutscher, ein Chinese, eine Kanadierin und ein Südkoreaner ums Leben. Ist der Rückweg gefährlicher als der Aufstieg?
Ja. Das Drama beginnt vielfach auf dem Rückweg. Viele überfordern sich schon beim Aufstieg. Sie haben nur das Ziel vor Augen, oben anzukommen. Sie können sich nicht selber einschätzen. Danach sind sie völlig erschöpft und haben keine Kraft mehr für den Abstieg.
Letztes Wochenende waren 150 Bergsteiger zum Everest unterwegs, für das kommende Wochenende sind 200 angekündigt. Vier bezahlten den Trip bereits mit dem Leben. Wie sind die Todesfälle zu erklären?
Zum einen muss man wissen, dass es für den Everest ein Zeitfenster zwischen dem 15. und 28. Mai gibt. Zu dieser Zeit sind die Bedingungen am besten. In dieser Zeit gibt es statistisch am meisten Besteigungen: Die Temperaturen sind gemässigt, der Wind ist schwach. Innerhalb des Zeitfensters gibt es dann wiederum ideale Tage und dann wollen alle auf einmal zum Gipfel. Es sind dieses Jahr aber nicht mehr Leute als sonst. Tote gibt es immer wieder.
Aber dieses Jahr scheint man ungewöhnlich viel darüber zu lesen. Warum?
Das hat sicher auch mit Ueli Stecks Besteigung ohne Flaschensauerstoff zu tun. Er lebt vom Bergsteigen und vermarktet sich auch entsprechend. Dadurch springen die Massenmedien auf das Thema auf. So kommt der Everest in den Fokus und danach auch die Todesopfer. Es ist aber nicht so, dass es heute mehr Tote gibt als früher. Dank der professionellen Expeditionen nahmen die Unfälle ab. In den 1950er-Jahren starben viel mehr Leute am Everest als noch in den 1990er-Jahren oder ab 2000, als die Kommerzialisierung der Besteigung des Everest ihren Anfang nahm.
Was für Leute wollen dort hinauf?
Es sind Bergsteiger jeder Couleur. Der Everest ist ein Tummelplatz der Eitelkeit. Es gibt Cracks, wie Ueli Steck, aber auch viele Dilettanten.
Macht es einem Profi Spass, den Berg mit so vielen anderen teilen zu müssen?
Wer auf Normalrouten auf den Everest geht, darf nicht den Anspruch erheben, alleine zu sein, sonst muss man eine andere Route wählen. Als ich oben war, waren noch etwa 20 andere da. Mir war das egal. Mein Ziel war, meine Leute heil auf den Berg und auch wieder hinunterzubringen. Leute wie Ueli Steck müssen sich ebenfalls damit abfinden, dass sie dort oben nicht alleine sind.
Was ist die Motivation?
Ein bisschen ist es auch eine philosophische Sache. Fakt ist, es ist der höchste Punkt der Welt und es gehört für einen guten Bergsteiger dazu, einmal dort oben gewesen zu sein. Warum man dort hinaufgeht, ist unterschiedlich. Die einfachste Antwort auf das Warum ist: Weil er da ist.
Ist die Besteigung des Everest ein toller Trip?
Ja, der Everest ist auch ein schöner Berg. Das Mass aller Dinge ist er aber nicht. Der K2 zum Beispiel ist in jeder Beziehung eine andere Liga.
Was sagen sie zur Leistung von Ueli Steck?
Ohne Flaschensauerstoff auf den Everest – das ist eine super Leistung. Es gibt sicher einige, die behaupten, sie hätten es geschafft, es mit dem Sauerstoff aber nicht so genau nahmen. Steck aber ging die ganze Strecke ganz sicher ohne Sauerstoff.
Das Bergsteigen hat sich in den letzten Jahren enorm entwickelt. Was für Steigerungen gibt es noch?
Es gibt immer noch Herausforderungen – zum Beispiel in der Ostwand des Everest. Zudem gibt es Möglichkeiten von Solobegehungen auf sehr anspruchsvollen und schwierigen Routen. Erstbegehungen sind immer noch möglich. Zudem gibt es Steigerungsmöglichkeiten bei Solo- und Speed-Begehungen auf extremer Höhe. Bei diesen neuen Herausforderungen ist Ueli Steck ein sehr überzeugender Protagonist.
Mischu Wirth vom Expeditionsveranstalter Kobler & Partner in Bern ist ein erfahrener Bergführer. Der 44-Jährige führte letztes Jahr eine Expedition auf den Mount Everest. Im Gegensatz zu Ueli Steck, den Wirth bestens kennt, erreichte er den Gipfel des höchsten Bergs der Welt nicht über die Südseite (Nepal), er nahm die Nordroute von Tibet aus.