Wembley-StadionDer Geburtsort der neuen Schweizer Nati
Vier Jahre und drei Monate nach dem Nati-Umbruch kehren die einst jungen Wilden von Ottmar Hitzfeld ins Wembley zurück. Dessen Mut hat sich bis heute ausbezahlt.
- von
- E. Tedesco ,
- London
Stephan Lichtsteiner zählt zu den Dienstältesten in der Nationalmannschaft. Der Juve-Verteidiger spricht über die Veränderungen seit 2011. (Video: 20 Minuten)
Der Generationenwechsel von Ottmar Hitzfeld im Juni 2011 war keine Erfindung des Weltklassetrainers. Vielmehr passierte er nach den Rücktritten von Alex Frei und Marco Streller im März des gleichen Jahres und mitten in einer EM-Kampagne aus der Not heraus. Aber es ist sehr wohl das Verdienst des Lörrachers, dass er der Entwicklung einer neuen Nati nicht im Wege stand.
Nach dem überraschenden WM-Aufgebot 2010 für den damals blutjungen Xherdan Shaqiri erhielten Granit Xhaka, Admir Mehmedi und Innocent Emeghara am 4. Juni 2011 ihre Chance in der Nati und debütierten im EM-Qualispiel gegen England (2:2). Goalie Diego Benaglio war im Wembley mit Jahrgang 1983 bereits der Älteste. Von den damals 13 eingesetzten Feldspielern waren acht jünger als 25. Dazu modifizierte Hitzfeld das System in ein 4-2-3-1, das er bis zum WM-Achtelfinal gegen Argentinien – seinem letzten Spiel als Trainer – beibehielt.
Breit abgestecktes Kader
Die neue Schweiz hatte sich zu einer reizvollen Aufgabe mit Potenzial entwickelt, als Petkovic nach der WM von Hitzfeld übernahm. Generell hat Petkovic heute jede Position doppelt und fast gleichwertig besetzt. Die Qualität ist hoch wie selten und die Anlagen einzelner so vielversprechend wie nie zuvor. Ein weiteres Plus: Die Nati ist im Schnitt 25,5 Jahre jung. «75 bis 80 Prozent dieser Mannschaft können und werden die nächsten zehn Jahre für die Schweiz spielen», sagt Petkovic deshalb auch.
Die Lust am Fussball
Mit 31 Jahren zählt Stephan Lichtsteiner zu den Ältesten (75 Länderspiele/5 Tore). Der Juve-Verteidiger ist seit 2005 im Kreis der Nationalmannschaft und hat mehrfach Veränderungen miterlebt. «Die Mannschaft ist um einiges jünger geworden. Es sind gute Jungs mit viel Qualität, und wir sind spielerisch stärker geworden. Es dominiert die Lust am Fussball, und es ist ein Team, das den Ball gern am Fuss hat. Die Schere zwischen dem Ältesten und dem Jüngsten ist kleiner geworden.» Zwischen dem 18-jährigen Nesthäkchen Embolo und Steve von Bergen liegen dennoch 14 Jahre.
Verändert habe sich auch der Umgang untereinander. Respekt war und ist immer da, und die älteren Spieler probieren, mit gutem Beispiel voranzugehen. «Aber wir unterdrücken die Jungen nie», sagt Lichtsteiner. «Sie hören zu, sagen es aber auch, wenn ihnen etwas nicht passt – das ist immer die Stärke dieser Mannschaft gewesen.»
Lust auf die Nati
«Die Jungen kommen mit viel Lust zur Nationalmannschaft und bringen bei jedem Zusammenzug mehr Erfahrung aus ihren Clubs mit», sagt Valon Behrami, der wie Lichtsteiner nicht nur zum Mannschaftsrat, sondern auch zu den Dinos zählt. Der Tessiner, der gegen Slowenien sein 60. Länderspiel (2 Tore) gemacht hat, ist wie Lichtsteiner seit zehn Jahren in der Nati.
Auch der 30-jährige defensive Mittelfeldspieler hebt die hohe Qualität der aktuellen Auswahl hervor. Die Breite des Kaders habe zugenommen, der Konkurrenzkampf sei gross, aber positiv, und spielerisch mache das Team laufend Fortschritte. «Wir sehen, dass es nur vorwärtsgeht. Jeder junge Spieler, der derzeit einrückt, kommt wieder mit mehr Qualität zurück. Das kann uns nur helfen», so Behrami.
Die Mannschaft braucht Freiheiten
Petkovic folgt – anders als sein Vorgänger – nicht rigide einer taktischen Doktrin. Das Team von Petkovic zeichnet sich durch seine taktische Flexibilität aus. Die einst jungen Wilden brauchen diese Freiheiten, Petkovic gewährt sie ihnen. «Das System passt perfekt zur Mannschaft», sagt Haris Seferovic. Ob die offensiven Flügelspieler wie Shaqiri oder Mehmedi gern in die Mitte ziehen oder der zentrale Seferovic sich auch schon mal nach aussen und hinten fallen lässt – Petkovic will Angreifer, «die alles spielen können», und die Spieler nehmen die lange Leine dankend an. Obwohl Seferovic sagt, dass es unter Petkovic strenger sei als unter Hitzfeld.
Die Nati hat unter Petkovic ein neues Selbstverständnis entwickelt. Egal ob jung oder alt, die Spieler wollen alle nur das eine: gewinnen. Und egal ist auch, welcher Gegner auf der anderen Seite steht. «Es ist alles relativ gut aufgegangen in diesem Jahr», sagt Lichtsteiner, der keinen Trainervergleich anstellen mag. «Jeder hat seine Ideen und Philosophie.»
Jeder Trainer schreibt auch seine eigene Geschichte – die von Petkovic mit dieser reizvollen Truppe kann eine ganz spannende werden.