Aktualisiert

Der Gottvater

Er ist eine Legende unter den Game-Designern: Peter Molyneux schreibt seine Spiele nicht, sondern er lebt sie. Sein neuster Wurf trägt den Namen Fable und lässt die Spieler zu Göttern werden.

Der Weg zum Gott der Gamer führt durch eine unwirtliche Gegend: Clapham Junction, ein armes Working-Class-Quartier in London, durch das fast alle Züge holpern, die in den Süden Englands fahren. Die Reihenhäuschen der Suburbs wirken deprimierend, das graue Regenwetter macht die Szenerie noch düsterer. Das Ziel der Reise: Guildford, ein 60000-Seelen-Kaff im Süden Londons, Sitz der Lionhead-Studios und Residenz von Peter Molyneux, dem britischen Grossmeister des Gamedesigns. In dieses verschlafene Städtchen hat der Guru gerufen, um sein neustes Werk vorzustellen: Fable. Das Spiel hat im Vorfeld ein riesiges Medienecho hervorgerufen – wie fast jedes Game, das die Handschrift Molyneux' trägt.

Der Gott wirkt müde. Er sei unzugänglich, heisst es, lasse sich von niemandem in die Karten blicken. Er habe nur drei Stunden geschlafen, sagt er zu Beginn des Interviews. Aus Nervosität? «Absolut. Du verbringst fünf Jahre deines Lebens damit, einen Traum zu verwirklichen. Am Ende hat er eine Form angenommen, die jedermann sieht. Was aber die Welt darüber denkt, wissen wir noch nicht. Das jagt einem schreckliche Angst ein.» Molyneux ist aufgeschlossen, einzig sein Lächeln hat etwas Entrücktes, Geheimnisvolles. Trotz seinen 44 Jahren und dem britisch-distinguierten Auftreten sieht er aus wie ein Knabe. Er trägt Turnschuhe und ein Glücksarmband, seine Augen blitzen schelmisch, wenn er von seinen Projekten erzählt.

Den Ruf als Kult-Designer hat sich Molyneux mit God Games wie Populous und Black & White geschaffen. Spieler schlüpfen darin in die Rolle eines Gottes, der Menschen dazu bringen muss, ihn anzubeten. Die Auswirkungen der Macht haben Molyneux seit seiner Kindheit fasziniert: «Viele träumen davon, reich, mächtig und frei zu sein. Dieser Traum erfüllt sich für die meisten Menschen aber nie. In Fable kann man ihn ausleben.» Und die Konsequenzen dafür tragen: Im Rollenspiel steuert der Spieler eine männliche Spielfigur. Mit jeder einzelnen Tat entscheidet er über deren Moral und Aussehen. Bringt er Unschuldige um, beginnen die Menschen ihn zu fürchten. Isst er zu viel, setzt er Fett an. Und landet er im Gefängnis, altert er und trägt Spuren der Folter davon. Eine unendliche Anzahl Entscheidungen führen die Figur auf den Weg des Guten oder Bösen. «Am Ende des Spiels wählst du zwischen ultimativer Macht und Unschuld», erläutert Molyneux, «mich interessiert es brennend, wie sich die Spieler entscheiden.» Schwarz oder Weiss.

Auf dem Game-Guru lastet ein immenser Druck. Nicht nur die Gamerwelt hegt hohe Erwartungen, sondern auch die rund siebzig Zeichner, Modellierer, Animatoren und Sounddesigner seines Studios. Sie haben oft bis zu zwanzig Stunden pro Tag ins Projekt investiert und während der Entwicklungszeit ihre Familien nur selten gesehen. Trotzdem freut sich Molyneux nicht auf das Ende des Prozesses. «Ich ass, atmete, schlief das Spiel. Wenn du dein Kind dann gehen lassen musst, verwirrt dich das. Du fällst in eine Leere.»

Molyneux artikuliert seine Antworten mit der Abgeklärtheit eines Schöpfers, der sich nächtelang Gedanken zu seinem Game gemacht hat. Ob er selber gerne ein Gott wäre? «In den Welten, die ich kreiere, bin ich eine Art Gott.» Pures britisches Understatement. Mit Fable wird Molyneux zumindest seinen Ruf als Gott des Gamedesigns festigen können – selbst wenn das Spiel auf dem Markt ein Flop sein sollte.

Jan Graber

Info

Fable erscheint am 15. Oktober für die Xbox.

Deine Meinung