John Snow«Der grosse Gestank» – so rettete ein Arzt in London unzählige Leben
Im Jahr 1853 brach die Cholera über London herein. Der Arzt John Snow klärte den Ausbruch mithilfe einer Wasserpumpe auf. Wirklich Glauben schenkte man seinen Studien aber nicht. Erst im Jahr des «grossen Gestanks» erkannte man, wie wichtig sauberes Trinkwasser ist.
Darum gehts
Bis Mitte des 19. Jahrhunderts nahm man an, die Seuche Cholera würde über giftige Partikel in der Luft übertragen.
Doch der britische Mediziner vermutete, dass die Übertragung über das Trinkwasser erfolgt – und lieferte im Jahr 1854 handfeste Beweise für seine Theorie.
Er erkannte unter anderem, dass der Cholera-Ausbruch im Stadtteil Soho auf eine einzige öffentliche Wasserpumpe zurückging.
Daraufhin wurde der Handgriff der Pumpe entfernt und die Ausbreitung der Cholera in Soho beendet.
Mehr änderte sich zunächst jedoch nicht: Erst Jahre später beschloss das Parlament infolge des heissen Sommers 1858, ein modernes Abwassersystem zu schaffen.
Ein lokaler Cholera-Ausbruch im Jahr 1866, zu dem es trotz des weitgehend fertiggestellten Abwassersystems kam, bestätigte die Annahmen Snows posthum.
So gross die Sehnsucht nach London auch sein mag: Im Sommer 1858 möchte man nicht da gewesen sein. Denn in diesem erlebte die britische Hauptstadt «the great stink» (den grossen Gestank). Dieser stieg von der Themse auf und waberte durch die Stadt. Der Fluss, einst Lebensader der Stadt, war zur Kloake geworden. Abfälle, menschliche und tierische Ausscheidungen sowie Industrieabwässer landeten seit Jahren ungeklärt darin und verdrängten alles Leben.
Hatten die Menschen in und um London die problematische Entwicklung des Flusses bisher verdrängt, liess sich sein miserabler Zustand im Jahr 1858 nicht mehr ignorieren: Aufgrund der Rekordhitze war der Wasserspiegel der Themse stark gesunken. Dadurch wurden die Exkremente und Abfälle sicht- und vor allem riechbar. Der Gestank muss bestialisch gewesen sein: «Es stinkt, und wer diesen Gestank einmal eingeatmet hat, wird ihn nie vergessen und kann sich glücklich schätzen, ihn zu überleben», schrieb damals die «Times».
Angst vor Tod und Verderben bringenden Ausdünstungen des Bodens
Die Einwohnerinnen und Einwohner Londons reagierten auf die unhaltbaren Zustände vor ihren Türen mit Rückzug. Sie verkrochen sich in ihre Häuser und Wohnungen und hängten dort in desinfizierenden Chlorkalk getränkte Tücher vor die Fenster. So wollten sie den Gestank draussen behalten, der der damaligen Überzeugung nach nicht nur äusserst unangenehm, sondern auch potenziell todbringend war. Ihre Sorge galt besonders der Cholera, die bereits in früheren Jahren in der Stadt gewütet hatte (siehe Box).
Die vier Cholera-Epidemien in London
Die Idee der Krankheitsübertragung über die Luft fusste auf der in der Antike begründeten Miasma-Theorie, laut der giftige Ausdünstungen (Miasmen) des Bodens, aus Kadavern und anderer Verwesung mit der Luft fortgetragen werden und so zur Weiterverbreitung von Krankheiten beitragen. Daran glaubten nicht nur die Londonerinnen und Londoner, sondern auch die damalige Ärzteschaft. Doch es gab auch Zweifler.
John Snow: Todesfälle auf einer Karte
Einer dieser Zweifler war der britische Arzt John Snow. Der hatte bereits vier Jahre zuvor eine Übertragung der Cholera durch Trinkwasser nahegelegt. Zwar wusste Snow verschiedenen Quellen zufolge nicht, wie sich Krankheiten übertragen, aber seine Forschungen (siehe Box) sprachen aus seiner Sicht eindeutig für diesen Übertragungsweg.
Snows Beweise
Um seine These, die Cholera gelange über das Trinkwasser zu den Menschen, zu prüfen, stellte Mediziner Snow im Jahr 1854 Beobachtungen an. Diese galten zunächst den zwei Trinkwasserlieferanten der Stadt: Southwark and Vauxhall und der Lambeth Water Company. Erster bezog sein Wasser wie schon während der letzten Cholera-Epidemie aus der Themse bei London, letzterer neuerdings aus einer ländlichen, flussaufwärts liegenden Region. Während 1848/49 die Mortalität in den von den beiden Gesellschaften versorgten Stadtteilen gleich hoch war, gab es nun deutliche Unterschiede: Auf 10’000 Haushalte mit Southwark-and-Vauxhall-Wasser kamen 315 Cholera-Tote, auf 10’000 Lambeth-Haushalte nur 37.
In einem zweiten Schritt notierte Snow erstmals alle Todesfälle in seiner Sohoer Nachbarschaft auf einer Strassenkarte. Es war die Geburtsstunde des «disease mapping». Ergebnis: Die meisten Fälle waren im Umkreis einer öffentlichen Wasserpumpe aufgetreten, die später als «Broad Street pump» bekannt wurde. Ein weiterer Hinweis dafür, dass er mit seiner Vermutung richtig liegen dürfte. Daran änderten auch die Ausreisser in den Daten nichts: So waren trotz Nähe zur Pumpe in einer Brauerei und einem Armenasyl keine beziehungsweise kaum Personen gestorben. Dies, das zeigte die Befragung durch Snow, weil die Brauereimitarbeiter ausschliesslich Bier tranken, bei dessen Herstellung die Brauerei und das Asyl einen eigenen Brunnen unterhielten.
Snow errechnete, dass von 83 in Soho Verstorbenen 61 mit Sicherheit ihr Wasser aus der Pumpe bezogen hatten. Unter denen, die dies nicht getan hatten, nahmen einige es unwissentlich zu sich.
Mit seinen Beweisen überzeugte er die örtliche Gesundheitsbehörde, die Pumpe an der Broad Street ausser Betrieb zu nehmen. Daraufhin wurde der Handgriff der Pumpe entfernt und die Ausbreitung der Cholera in Soho beendet. Zwar zeigte sich später, dass die «Broad Street pump» direkt neben einer alten Senkgrube gegraben worden war, aus der Fäkalien und das Cholera verursachende Bakterium Vibrio cholerae ausgetreten waren. Doch weitere Massnahmen wurden nicht ergriffen.
«The great stink» führte zur Modernisierung
Im Gegenteil: Nachdem die Cholera-Epidemie abgeklungen war, ersetzten Regierungsbeamte den Pumpengriff in der Broad Street. Sie hätten nur auf die dringende Bedrohung der Bevölkerung reagiert und danach Snows Theorie zurückgewiesen, erklärten sie. Seinen Vorschlag anzunehmen, hätte bedeutet, indirekt die orale und fäkale Methode der Übertragung von Krankheiten zu akzeptieren, was für die meisten Menschen zu unangenehm war, um sie in Betracht zu ziehen.
Die Bedeutung eines funktionierenden Abwassersystems wurde erst Jahre später – und nicht zuletzt aufgrund des «grossen Gestanks» – anerkannt: Der bestialische Geruch der Themse liess im Jahr 1858 die Dringlichkeit des Problems erkennen und das Parlament beschloss, ein modernes Abwassersystem zu schaffen. Das am 2. August 1858 in Kraft getretene Gesetz bewilligte dem städtischen Bauamt dafür ein Budget von drei Millionen Pfund. Der Baustart erfolgte noch im selben Jahr. Die wichtigsten Arbeiten endeten im Jahr 1866, just nachdem es im Londoner East End noch eine vierte Cholera-Epidemie gegeben hatte. Und damit dort, wo der Ausbau noch nicht ganz abgeschlossen war. Es war eine späte Bestätigung von Snows Theorie.
John Snow erlebte das nicht mehr. Er war am 16. Juni 1858 an einem Schlaganfall gestorben. An ihn erinnert heute eine Replik der «Broad Street pump», die vor dem nach ihm benannten Pub steht.
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