Bomben gegen Gaddafi: Der grosse Krach um den Libyen-Einsatz

Aktualisiert

Bomben gegen GaddafiDer grosse Krach um den Libyen-Einsatz

Warum streitet die NATO um die Führung des Militäreinsatzes gegen Libyen? Soll Gaddafi gestürzt werden? Die wichtigsten Fragen und Antworten.

von
Peter Blunschi

Seit Samstag fallen Bomben und Marschflugkörper auf Libyen, doch eine einheitliche Kommandostruktur existiert noch immer nicht. Umstritten ist vor allem die Rolle der NATO: Grossbritannien und die USA wollen der Militärallianz die Führung übertragen, Deutschland, Frankreich und die Türkei wehren sich aus ganz unterschiedlichen Motiven dagegen.

Jetzt zeichnet sich ein Kompromiss ab, der gemäss dem «Guardian» auf eine Arbeitsteilung nach bosnischem Vorbild hinausläuft: Demnach übernimmt die NATO die militärische Führung bei der Durchsetzung der Flugverbotszone, die politische Aufsicht bei der Umsetzung der UNO-Resolution 1973 hingegen würde von einer Koalition übernommen, der neben den USA, Grossbritannien und Frankreich auch arabische Staaten angehören sollen.

US-Präsident Barack Obama soll am Dienstag in separaten Telefongesprächen mit Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy und dem britischen Premierminister David Cameron über eine solche Lösung gesprochen haben. Doch nach wie vor bleibt vieles unklar, und die Interessen der verschiedenen Parteien gehen teils weit auseinander. Ein Überblick:

Warum wollen sich die USA zurückziehen?

Derzeit laufen die Fäden des Libyen-Einsatzes beim Afrika-Kommando (Africom) der US-Streitkräfte in Stuttgart zusammen. Doch die USA wollen ihren Beitrag unbedingt zurückfahren, wie Obama am Dienstag erneut betonte. Nach Afghanistan und Irak wollen sie nicht erneut als Aggressor gegen ein muslimisches Land auftreten. In Amerika ist zudem die Ansicht weit verbreitet, dass Libyen in erster Linie ein Problem der Europäer ist. Im Kongress ist zudem bereits Widerstand gegen die Kosten der Aktion laut geworden.

Welche Rolle spielt Frankreich?

Nicolas Sarkozy ist der eigentliche Antreiber des Militäreinsatzes gegen Gaddafi. Schon kurz nach dem Pariser Libyen-Gipfel vom letzten Samstag lancierte er die ersten Luftangriffe, «ohne die Verbündeten genügend zu informieren», wie der «Guardian» schreibt. Gegen eine Führungsrolle der NATO wehrte er sich, weil das Bündnis in der muslimischen Welt wegen des Afghanistan-Kriegs einen schlechten Ruf habe. Stattdessen favorisierte Sarkozy eine gemeinsame britisch-französische Führung. Doch bei David Cameron biss er auf Granit, die Briten beharren auf einem NATO-Kommando. Jetzt gibt Frankreich offenbar nach.

Warum bremst die Türkei?

Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan ist verärgert über Frankreichs Vorpreschen, nicht zuletzt weil die Türkei nicht zum Pariser Libyen-Gipfel eingeladen wurde. Erdogan muss auch auf die öffentliche Meinung in seinem Land Rücksicht nehmen, ausserdem fürchtet die Türkei um ihr Ansehen in der arabischen Welt und pocht auf mehr Schutz gegen mögliche zivile Opfer. Deshalb hat Ankara bislang eine NATO-Führungsrolle blockiert. Nach einem Telefongespräch mit Barack Obama am Montag soll Erdogan zu mehr Flexibilität bereit sein. Am Dienstag allerdings bekräftigte er nochmals sein Nein zu einem NATO-Einsatz.

Was wollen die Araber?

Muammar al Gaddafi hat kaum noch Freunde in der arabischen Welt. Die arabische Liga sprach sich denn auch für eine Flugverbotszone über Libyen aus. Nach den ersten Angriffen und Berichten über zivile Opfer machte Generalsekretär Amr Mussa eine Kehrtwende, um dann das Vorgehen doch wieder zu unterstützten. Bislang beteiligt sich mit Katar erst ein arabisches Land am Kampfeinsatz, das Emirat hat zwei Flugzeuge entsandt. Ein hoher US-Regierungsbeamter zeigte sich gegenüber CNN jedoch zuversichtlich, dass sich in den nächsten Tagen weitere arabische Staaten «auf verschiedenste Art» an der Durchsetzung der UNO-Resolution beteiligen werden. Sollte der Einsatz jedoch lange dauern und zivile Opfer fordern, dürfte die Stimmung in der arabischen und muslimischen Welt schnell kippen.

Warum steht Deutschland abseits?

Die deutsche Regierung will sich keinesfalls an militärischen Aktionen gegen Libyen beteiligen. Sie hat sich im UNO-Sicherheitsrat der Stimme enthalten und am Dienstag ihre Streitkräfte aus dem Mittelmeerraum zurückgezogen. Mit dieser Haltung stösst Deutschland bei den Verbündeten auf grosses Unverständnis. Ex-Aussenminister Joschka Fischer spricht von einem «skandalösen Fehler». Kritiker vermuten innenpolitische Motive. Dieses Jahr finden wichtige Landtagswahlen statt, und die Regierung von Angela Merkel und Guido Westerwelle befindet sich bereits wegen der Atom-Katastrophe in Japan unter Druck.

Welches Ziel hat die Militäraktion?

Einerseits geht es um die Durchsetzung des Flugverbots über Libyen, doch es gab auch direkte Angriffe auf Gaddafis Truppen. Experten kritisieren, die UNO-Resolution 1973 sei unklar formuliert, ausgeschlossen ist einzig der Einsatz von Bodentruppen. Was zur Frage führt: Soll der Diktator gestürzt werden? Barack Obama betonte, dies sei nicht der Fall, doch er und die Verbündeten erklärten gleichzeitig, sie wollten Gaddafis Abgang. Bislang kann sich der libysche Herrscher gegen die unorganisierten und schlecht bewaffneten Rebellen offenbar gut behaupten. Was geschieht, wenn sich der Konflikt in die Länge zieht? Es ist nicht zuletzt diese Unklarheit, die viele Kritiker des Militäreinsatzes hervorheben.

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