TürkeiDer IS macht Jagd auf syrische Aktivisten
Syrische Oppositionelle und Journalisten fliehen vor dem IS in die Türkei. Doch auch dort droht ihnen der Tod, wie der Fall Zaher al-Shurqat zeigt.
- von
- mlr
Dass die Anhänger der Terrormiliz Islamischer Staat nicht nur in Syrien und im Irak wüten, ist seit den Anschlägen von Paris und Brüssel jedem klar. Der IS verfolgt jedoch nicht nur sogenannte Ungläubige im Westen, sondern macht auch Jagd auf Kritiker muslimischen Glaubens, die vor den Terroristen aus ihrem Heimatland geflohen sind.
Allein in den vergangenen sechs Monaten sind in der Türkei mindestens vier prominente Oppositionelle aus Syrien ermordet worden, die öffentlich gegen den IS gekämpft hatten. Immer mehr Aktivisten fliehen vor dem IS in den Süden der Türkei – und viele von dort weiter nach Europa, weil sie selbst nach ihrer Flucht weiter bedroht werden.
Kopfschuss auf der Strasse
Zuletzt traf es laut «Washington Post» Zaher al-Shurqat, TV-Moderator und früherer Anführer einer Rebellengruppe. Ein Attentäter schoss dem 36-Jährigen am 10. April im anatolischen Gaziantep in den Kopf, nachdem dieser seine schwangere Ehefrau zur Tram-Station gebracht hatte. Zwei Tage später erlag er seinen Verletzungen. Der IS bekannte sich zu der Tat.
«Wir sind in der Türkei nicht sicher. Der IS beobachtet uns», sagte ein 24-jähriger früherer Rebell, der anonym bleiben will, der Zeitung. Ein Netzwerk aus Informanten und Attentätern überwache viele syrische Journalisten, Aktivisten und Ex-Rebellen in der Türkei, um sie im geeigneten Moment in ihrem Heim zu köpfen oder auf der Strasse zu erschiessen, so die Befürchtung. Zudem kamen im vergangenen Jahr Dutzende Menschen bei Selbstmordanschlägen des IS in der Türkei ums Leben.
IS-Anhänger unter Flüchtlingen
In den letzten Monaten haben die türkischen Behörden zwar die einstmals durchlässige Grenze zu Syrien besser geschützt. Doch die Sorge wächst, dass sich IS-Anhänger unter den zwei Millionen syrischen Flüchtlingen im Land ebenso wie innerhalb der türkischen Bevölkerung versteckt halten.
Der getötete Al-Shurqat lebte seit sieben Monaten in der Türkei und erhielt regelmässig Drohanrufe. In seiner nordsyrischen Heimatstadt Al-Bab gründete der frühere Imam vor Jahren eine Rebelleneinheit, die seit 2013 auch gegen den IS kämpfte. Später zog der studierte Theologe nach Aleppo, wo er als Moderator beim pro-oppositionellen TV-Sender Aleppo Today arbeitete. In Gaziantep setzte Al-Shurqat seine Tätigkeit im dortigen Studio des Senders fort. Nur wenige Tage vor seinem Tod lief eine Sendung, in der der Journalist einen Rebellenführer interviewte, der die Assad-Regierung als grössten Unterstützer des IS brandmarkte.
«Einfach nur brutale Tiere»
In Aleppo überlebte Al-Shurqat mehrere Anschlags- und Entführungsversuche. Die ständige Bedrohung veranlassten ihn und seine Familie schliesslich zur Flucht. «Die IS-Anhänger hatten Angst vor ihm, weil er verdeutlichte, dass ihre Praktiken nicht dem Islam entsprechen. Sie sind einfach nur brutale Tiere», ist sein Zwillingsbruder Anas überzeugt.
Auch andere Oppositionelle, die von der Türkei aus über die Gräueltaten des IS berichteten, leben nicht mehr. Im vergangenen Oktober erschoss die Terrormiliz im türkischen Sanliurfa zwei Aktivisten in ihrer Wohnung und enthauptete sie. Eines der Opfer war Ibrahim Abdul Qader, der für die Organisation Raqqa Is Being Slaughtered Silently (RSS) arbeitete. Im Dezember wurde in Gaziantep ein Freund des Moderators Al-Shurqat erschossen, der syrische Journalist Naji Jerf. Er hatte in einer Dokumentation darüber berichtet, wie der IS in Aleppo systematisch regierungskritische Aktivisten ermordet.
Tod im Kühlhaus
Auch mit Abtrünnigen in den eigenen Reihen geht der «Islamische Staat» nicht zimperlich um. 45 Kombattanten, die vor Kämpfen fliehen wollten, wurden «Al Sumaria News» zufolge in der irakischen IS-Hochburg Mosul getötet, indem sie 24 Stunden lang in ein Kühlhaus für Leichen gesperrt wurden. Als Warnung positionierte der IS die Toten an den Stadteingängen.