Terror-PropagandaDer IZRS-Führungsriege drohen bis zu 5 Jahre Haft
Laut der Bundesanwaltschaft haben drei IZRS-Vorstandsmitglieder Propaganda für Al-Qaida betrieben. Die Anklageschrift birgt Zündstoff.
- von
- D. Waldmeier
Ab dem 16. Mai steht die Führungscrew des Islamischen Zentralrats der Schweiz (IZRS) vor Gericht. Es ist ein Präzedenzfall: Die Bundesanwaltschaft will klären, wie weit die Meinungsäusserungsfreiheit geht und wo die strafbare Propaganda für eine Terrororganisation beginnt.
20 Minuten liegt die Anklageschrift vor: Im Zentrum des Prozesses steht Naim Cherni (26), der beim umstrittenen Zentralrat das «Departement für Kulturproduktion» verantwortet. Der deutsche Staatsbürger weilte im Herbst 2015 in Syrien und produzierte zwei Videos. So interviewte er in oder nahe der syrischen Stadt Idlib Abdallah al-Muhaysini. Letzterer ist laut der Anklage ein führender Vertreter der Terrororganisation Al-Qaida in Syrien und ein Exponent der Jihadisten-Dachorganisation Jaysh al-Fath. Mit der Veröffentlichung des Videos – es wurde auf Youtube über 100'000 Mal angeschaut – habe der IZRS Propaganda für Terrororganisationen betrieben. Ebenfalls auf der Anklagebank sitzen IZRS-Präsident Nicolas Blancho (34) und Sprecher Abdel Azziz Qaasim Illi (35), da sie die Videos aktiv beworben hätten.
Aufruf zum «gewaltsamen Jihad»
Die zuständige Bundesanwältin analysiert die Videos in der 31-seitigen Anklageschrift im Detail. Sie legt dar, dass der Jihadist Al-Muhaysini von Saudiarabien mit einem Ausreiseverbot bedacht wurde, um zu verhindern, dass dieser in Syrien jihadistischen Aktivitäten nachhängt. Laut der Bundesanwaltschaft sympathisierte der Interviewte offen mit dem IS: So versuchte dieser, die jihadistischen Gruppen in Syrien im Kampf gegen Assad zu vereinigen. «Al-Muhaysini erklärt, er hätte zum Entstehungszeitpunkt des Interviews den IS sofort als Kooperationspartner akzeptiert.» Im Interview mit Cherni, das dieser in Hocharabisch führte, fordere Al-Muhaysini muslimische Jugendliche – namentlich im Westen – zum «gewaltsamen Jihad» auf:
«Macht Euch keine Sorgen um den Sieg, denn der Sieg liegt in der Hand Allahs. Aber macht Euch Sorgen [darüber]: Werden wir einer der Gründe für den Sieg sein? Werden wir uns an diesem Sieg beteiligen oder nicht? Denn Allah wird uns am Tag der Auferstehung nicht fragen, haben wir gesiegt oder nicht: Der Sieg liegt in der Hand Allahs. Aber Allah, gepriesen und erhaben ist er, wird uns fragen: Haben wir uns am Sieg beteiligt. Haben wir uns am Dschihad beteiligt? Haben wir uns an der Verteidigung unserer Religion und unserer Ehre beteiligt oder nicht?»
Schoggi für den Al-Qaida-Vertreter
Auf die Aufforderung zum Jihad habe Al-Muhaysini eine Koransure verkürzt zitiert, die sich «auf einen Kriegszug der frühen Muslime gegen die christlichen Byzantiner bezieht (Wenn ihr nicht ausrückt, lässt er [Allah] euch eine schmerzhafte Strafe zukommen und ein anderes Volk eure Stelle einnehmen).
Im zweiten Video, einer Dokumentation der Reise und des Syrien-Konflikts, sind mehrere Szenen mit Musik unterlegt. Einmal mit einem «gewaltextremistischen, agitatorischen Kampflied» aus dem Nahost-Konflikt, wie es ind er Anklageschrift heisst. Einmal mit einem «poetischen Kampflied, welches den gewaltsamen Jihad, das kombattante Martyrium und die Zerstörung des Christentums glorifiziert».
Minutiös versucht die Anklage zu widerlegen, dass es sich um einen journalistischen Bericht handelt, bei dem der Cherni auf kritische Distanz zum Jihadisten und seiner Ideologie gehen würde. Der IZRS-Vertreter habe Al-Muhaysini mit «erhrerbietigen Anreden» bedacht und ihm gar noch Schweizer Schoggi geschenkt. Als der Interviewte «zwischen Feldbefestigungen an der Kriegsfront die angebliche Ausgewogenheit der Scharia» und die «Gottesstrafen Töten, Steinigen und Auspeitschen» preist, nickte Cherni laut der Staatsanwaltschaft zustimmend. Cherni habe vorsätzlich gehandelt und schon vor dem Video-Dreh auf sozialen Medien mit jihadistischen Gruppierungen sympathisiert und Nachrichten des syrischen Al-Qaida-Ablegers verbreitet. Auch likte er 2014 das Profil von Ahmed Akubar, das die IS-Flagge zeigte.
Für den IZRS ist Al-Muhaysini ein «Schlichter und Brückenbauer»
Der IZRS spricht von einem «politisch motivierten Schauprozess», dem man mit grosser Gelassenheit entgegenschaue. In einer Mitteilung schreibt er: «Der Vorstand ist sich keiner Schuld bewusst und betont, dass man sich durch die Machenschaften der Bundesanwaltschaft nicht in der Ausübung von Grundrechten einschränken lasse.» Cherni, Illi und Blancho wiesen die Vorwürfe kategorisch zurück. «Weder haben die Produktionen Chernis propagandistischen Charakter, noch ist al-Muhaysini ein Mitglied der Al-Qaida oder sonst einer gesetzlich verbotenen Organisation.»
Mehr noch: «Dr. Abdullah al-Muhaysini» sei ein «als Schlichter und Brückenbauer bekannter unabhängiger Rebell mit islam(ist)ischem Hintergrund». Im Fokus des Filmdrehs sei die Dekonstruktion der IS-Diskurse gestanden. «Al-Muhaysini machte durch einen Vermittlungsversuch zwischen den Rebellen und dem ISIS von Anfang 2014 prominent von sich reden. Nachdem der ISIS sich weigerte, sein extremes Gebaren einzustellen, erklärte der unabhängige al-Muhaysini den geeinten Kampf gegen die Extremistengruppe für gerechtfertigt.» Ein Gespräch mit ihm «über die Hintergründe seiner IS-Kritik erschien Cherni als spannend, mehr noch dienlich im Kampf gegen die IS-Narrative auch in Europa.»
Welche Strafe die Bundesanwaltschaft beantragt, wird sich in der Verhandlung zeigen. Das Gesetz sieht für Terror-Propaganda eine Geldstrafe oder bis zu fünf Jahre Haft vor.