GeheimdienstaktenDer MI5 und die schöne Deutsche
In London hat der MI5 insgesamt 170 Dossiers zugänglich gemacht. Darin taucht unter anderem eine deutsche Spionin mit «sehr schönen Beinen» auf.
- von
- Jennifer Quinn
- AP
Sie galt in Grossbritannien während des Zweiten Weltkriegs als eine der wertvollsten deutschen Agentinnen, sie wurde als wunderschön und äusserst fähig beschrieben. Marina Lee, eine frühere Ballerina, sprach mehrere Sprachen, und in einem Geheimdienstdossier über sie wurde eigens ein Hinweis aus Frankreich erwähnt: Sie habe sehr schöne Beine.
Die Informationen über Lee - die auch als Maria Ley sowie unter etlichen anderen Decknamen auftrat - zählen zu einem Satz Akten des britischen Inlandsgeheimdienstes MI5, den das Nationalarchiv am Donnerstag veröffentlichte.
Darin werden die Aktivitäten mutmasslicher Spione während des Krieges beschrieben sowie die Bemühungen, hinter die Kulissen des Siemens-Konzerns zu blicken und sich Informationen über die Loyalität von dessen Beschäftigten zu verschaffen. In einer Akte mit dem Titel «Siemens-Halske-Schuckert-Konzern» werden britische Agenten auf ein Gesetz aus dem Jahr 1936 hingewiesen, wonach jeder deutsche Mann und jede Frau in Kriegszeiten dem Vaterland dienen müsse, und dass im Ausland lebende Deutsche, einschliesslich solche mit doppelter Staatsbürgerschaft, zum Dienen verpflichtet seien, wenn das von ihnen gefordert werde.
Agenten des MI5 sollten deshalb Mitarbeiter des Konzerns an Betriebsstätten wie dem Iran, Indien, Island und Chile unter die Lupe nehmen. Andere sollten Briten befragen, die Kontakt mit Personen hatten, die als verdächtig eingestuft wurden.
Diese Befragungen verliefen nicht immer glatt: Eine Frau mit einem schwachen Herzen in England, die dem MI5 über einen verdächtigen Hausgast Auskunft geben sollte, brach immer wieder in Tränen aus. Wie sich dem Agenten zufolge herausstellte, wusste die Frau nichts über die Aktivitäten ihres Gastes - was vermutlich gut war, denn «sonst wäre sie vermutlich schon an einem Herzanfall gestorben».
Insgesamt wurden am Donnerstag 170 Dossiers freigegeben. Dem Archiv in Kew westlich von London wurden bislang fast 4.500 Geheimdienstakten übergeben. Sie sind der Öffentlichkeit zugänglich, einige davon auch online.
Dossier wie ein Spionageroman
Unter den zuletzt freigegeben Unterlagen ist auch ein Dossier über Wolf Mankowitz, der das Drehbuch für die erste Verfilmung des James-Bond-Klassikers «Casino Royale» schrieb. Der MI5 sorgte sich, dass Mankowitz ein kommunistischer Spion sei. Erst 1958 liess das Interesse Geheimdienstes an ihm nach.
Das Dossier mit unbestätigten Berichten über Marina Lee liest sich wie ein Spionageroman. Sie soll in St. Petersburg geboren worden und aus Russland geflüchtet sein, nachdem ihre Eltern von Bolschewisten ermordet worden waren. Schliesslich heiratete sie einen Norweger. Ein Foto ist nicht in den Akten enthalten, aber die Schönheit der Blondine wird in höchsten Tönen gepriesen, ebenso wie ihre Fähigkeit, sich beim Feind einzuschleichen und dort wertvolle Informationen für die Deutschen zu sammeln. Später soll sie nach Spanien gezogen sein. 1947 wurden Polizei und Grenztruppen angewiesen, sofort den MI5 zu informieren, sollte Lee nach Grossbritannien einreisen. Weitere Berichte über Lee gibt es aber nicht, ihre Akte wurde 1960 geschlossen.