George Sheldon: «Der Mindestlohn ist die falsche Therapie»

Aktualisiert

George Sheldon«Der Mindestlohn ist die falsche Therapie»

Der Arbeitsmarktprofessor hält den Mindestlohn für das falsche Mittel zur Armutsbekämpfung. Besser seien Steuergutschriften. Bedenken, dass die Zuwanderung steigt, hat er nicht.

Yves Hollenstein
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Yves Hollenstein
George Sheldon, Professor für Arbeitsmarkt- und Industrieökonomie an der Universitaet Basel.

George Sheldon, Professor für Arbeitsmarkt- und Industrieökonomie an der Universitaet Basel.

Herr Sheldon, mit einem gesetzlichen Mindestlohn von 4000 Franken läge die Schweiz weltweit an der Spitze. Kann sich die Schweiz das leisten?

Leisten schon. Die Frage ist aber, ob die Schweiz sich das leisten will. Der geforderte Mindestlohn wäre im internationalen Vergleich in der Tat sehr hoch.

Aber die Schweiz ist auch eine Hochpreisinsel. Da muss der Mindestlohn auch höher sein als beispielsweise in Deutschland.

Das stimmt, aber um zu ermitteln, ob ein Mindestlohn hoch ist, muss man ihn mit dem Medianlohn vergleichen (die Schwelle, wo die Hälfte darunter und die andere Hälfte darüber ist). In Ländern, in denen man den Mindestlohn bereits kennt, entspricht dieser rund einem Drittel des Medianlohns. In der Schweiz würde der von den Initianten angepeilte Mindestlohn aber über zwei Drittel betragen. Der hierzulande geforderte Mindestlohn ist sehr hoch angesetzt.

Wenn der Mindestlohn eingeführt würde, was hätte dies für Konsequenzen?

Man kann davon ausgehen, dass die Beschäftigung zurückgehen würde. Und zwar hauptsächlich für niedrig qualifizierte Arbeitnehmer, weil sie tendenziell vermehrt in den Genuss von Mindestlöhnen kommen würden. In Anbetracht dessen erweist man genau diesen Personen einen Bärendienst, wenn man die Löhne anhebt. Sie haben bereits bei den gegebenen Löhnen Mühe, eine Stelle zu finden. Wenn das Ziel ist, genau diese Leute an Bord zu holen, dann ist es kontraproduktiv, wenn man deren Arbeit verteuert.

Die Gewerkschaften argumentieren mit den Working Poor. Es sei ein Skandal, dass Leute nicht von ihrer Arbeit leben können.

Selbstverständlich gibt es in der Schweiz das Problem der Erwerbsarmut. Die Frage ist einfach, ob ein Mindestlohn die richtige Therapie ist, um dies zu bekämpfen. 4000 Franken können für einen Ein-Personen-Haushalt mehr als ausreichend sein, während es für eine Familie in Zürich viel zu wenig ist. Ein flächendeckender Mindestlohn ist eine viel zu ungezielte Massnahme.

Was wäre zielführender?

Ein sehr gezieltes Instrument sind so genannte Steuergutschriften. Diese kennt man vor allem aus angelsäschischen Ländern wie beispielsweise den USA. Anhand der Einkommensteuer wird geprüft, ob aufgrund der familiären Verhältnissen der Verdienst reicht, um über die Runden zu kommen. Wenn man ein gewisse Schwelle unterschreitet, bekommt man, statt Steuern zu zahlen, Geld vom Staat. Man kann dies mit Subventionen für Bauern vergleichen.

Aber solche Länder haben gleichzeitig auch einen Mindestlohn.

Das stimmt. Nur hat dieser dort eine ganz andere Funktion. Das Hauptziel ist nicht, die Erwerbsarmut zu bekämpfen, sondern Missbrauch zu verhindern. Beispielsweise kann ein Arbeitgeber sagen: «Da du Steuergutschrift kriegst, zahle ich dir nur noch einen Hungerlohn.» Durch den Mindestlohn ist er aber gezwungen, ein angemessenes Gehalt auszuzahlen. Gleichzeitig ist der Mindestlohn nicht zu hoch angesetzt, damit die Beschäftigung nicht darunter leidet.

Die Schweiz hat im internationalen Vergleich eine niedrige Arbeitslosigkeit. Würde diese dann mit einer Annahme der Initiative gefährdet?

Im Gesamtdurchschnitt wird man vielleicht keinen grossen Anstieg zu sehen bekommen. Aber gerade bei Ungebildeten ist die Arbeitslosenquote in der Schweiz dreimal so hoch wie beim Rest der Bevölkerung. Und wenn hauptsächlich diese entlassen würden, ist das schon ein gewichtiger Anstieg bei einer Gruppe, denen der Mindestlohn eigentlich helfen sollte.

Für Arbeitnehmer der umliegenden Länder wäre der Schweizer Mindestlohn sehr attraktiv. Kommt eine neue Zuwanderungswelle?

Die Attraktivität der Schweiz als Arbeitgeberin wird steigen, aber das wird nicht reichen, um eine Zuwanderungswelle auszulösen. Denn die Zuwanderung in der Schweiz ist nicht angebots-, sondern nachfragegesteuert. Das heisst, es kommt nicht darauf an, ob die Schweiz für die Ausländer attraktiv ist, sondern ob die Arbeitgeber ein Bedarf nach ausländischen Arbeitskräften haben. Und durch den Mindestlohn wird dieser Bedarf eher sinken.

Besteht die Gefahr, dass Firmen aus der Schweiz abwandern, weil sie die hohen Löhne nicht mehr zahlen wollen oder können?

Dafür kämen nur exportorientierte Firmen in Frage. Diese sind aber nicht vom Mindestlohn betroffen, da sie bereits jetzt höhere Löhne zahlen. Aber ein Gartenbauer, Coiffeur oder Restaurantbetreiber hat kaum die Möglichkeit, über die Grenze zu wechseln, da er an die hiesige Wirtschaft gebunden ist.

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