Neuer SNB-PräsidentDer Nostradamus der Eurokrise
Gescheit, geradlinig, kompromisslos: Endlich hat Thomas Jordan alle Vollmachten. Nun muss der neue SNB-Präsident beweisen, dass die Vorschusslorbeeren gerechtfertigt waren.
- von
- Balz Bruppacher
Thomas Jordan im Interview nach seiner Ernennung zum SNB-Präsidenten.
Von der körperlichen Statur kann der fast zwei Meter grosse, 49-jährige Ökonom seinem Vorgänger Philipp Hildebrand das Wasser problemlos reichen. Und beim theoretischen Rüstzeug war es eher Hildebrand, der von Jordan profitierte. Nicht von ungefähr machte Hildebrand 2004 Jordan zu seinem Stellvertreter. An der Universität Bern und später auch an der Uni Zürich hielt Jordan Vorlesungen über Geldpolitik und Geldtheorie.
Die Nachrichtenagentur Reuters fragte sich sogar, ob der SNB-Präsident ein «Nostradamus der Eurokrise» sei: Jordan hatte in seiner 1994 veröffentlichten Dissertation vorausgesagt, dass Länder wie Irland, Italien und Griechenland ihre Schulden kaum unter Kontrolle bringen könnten.
Ladehemmung im Bundeshaus
«Wenn der Bundesrat mir diese Aufgabe zutraut, dann werde ich diese Aufgabe annehmen», hatte Jordan am vergangenen 9. Januar gesagt. An jenem Montag, als Hildebrand mit sofortiger Wirkung zurücktrat.
Dass Jordan mehr als drei Monate auf die definitive Ernennung warten musste, ist schwer nachvollziehbar. Verständlich zwar, dass der Bundesrat die Durchleuchtung der privaten Finanzgeschäfte der Direktoriumsmitglieder abwarten wollte, bevor er Jordan mit den Präsidialweihen versah. Seit dem Persilschein durch den Bankrat sind aber noch einmal sechs Wochen vergangen. «Glaubt am Ende jemand, ihn weichklopfen zu müssen?», fragte sich der Zürcher Finanzprofessor und ehemalige Notenbankdirektor Urs Birchler in seinem «Batz»-Blog: «Anders kann ich mir die Ladehemmung im Bundeshaus beim besten Willen nicht erklären.»
Prompt wurde die Nationalbank von den Märkten einem Test unterzogen. Vor und nach dem Osterwochenende durchbrach der Euro-Kurs kurzfristig den von der Nationalbank verteidigten Mindestkurs von 1,20 Franken. In einer Notfallübung trommelte Jordan nach der Osterpause die Finanzagenturen zusammen, um den Märkten zu versichern, dass die Untergrenze für den Euro auch in Zukunft ohne Wenn und Aber gilt.
Bösartige Gerüchte
Das lange Interregnum nährte Gerüchte über Vorbehalte gegen Jordan im Bundesrat. Für angebliche Reserven des neuen SP-Bundesrats Alain Berset gegenüber der Geldpolitik Jordans gibt es aber ebenso wenig Belege wie für noch bösartigere Unterstellungen über mangelnde Loyalität des neuen SNB-Chefs. Jordan gilt im Gegenteil als Inbegriff von Seriosität und Integrität. Die Kritik, er sei ein Dogmatiker, wird durch den Umstand widerlegt, dass die aktuelle Notenbankpolitik weltweit zu den unkonventionellsten gehört. Hier den richtigen Zeitpunkt für den Ausstieg zu erwischen, ist der grösste Challenge für Jordan.
Das bescheidene und schnörkellose Auftreten ist es, das den neuen Präsidenten der SNB wohl am stärksten von seinem weltgewandten Vorgänger unterscheidet. Meist mit ernster Miene und knappen Sätzen beantwortet Jordan Fragen von Medienleuten. Seine gradlinige und kompromisslose Art stösst dem Vernehmen nach bei seinen Gesprächspartnern auf dem Finanzplatz und bei den Behörden nicht immer auf Gegenliebe.
Wieder näher bei der Familie
Allerdings fällt auf, dass Jordan schon im letzten Jahr vermehrt in der Öffentlichkeit aufgetreten ist. So zum Beispiel im Herbst vor dem Berner Sitz der Notenbank auf dem Bundesplatz, wo er einer Radioreporterin verriet, wie er seinen beiden Söhnen erklärt, was er beruflich macht: «Die Nationalbank und Papi sind dafür zuständig, dass der Sparbatzen, den ihr auf die Bank bringt, auch in zwei, drei Jahren mindestens gleich viel wert ist.» Mit der Wahl zum Präsidenten wechselt der gebürtige Bieler nun wieder von Bern nach Zürich. Die Familie Jordan hat ihren Wohnsitz an der Goldküste. Die Frau des obersten Währungshüters ist Dozentin an einer Fachhochschule.