Treffen mit SnowdenDer «Schulbub» und ein «Hauch von Kaltem Krieg»
«Er sieht aus wie ein Schuljunge» und «Journalisten sind gleich quengelig wie Babys» – das sind zwei der Eindrücke, die Aktivistin Tanya Lokshina von ihrem Treffen mit Snowden mitgenommen hat.
- von
- jbu
Was würden Sie denken, wenn Sie an einem Donnerstagabend ein E-Mail von einem gewissen «Edward Snowden» mit einer Einladung zu einem Treffen erhielten? Diese Frage richtet die Menschenrechtsaktivistin Tanya Lokshina an die Leser ihres neuesten Blogs auf der Seite von Human Rights Watch – um dann von ihrem Treffen mit dem meistgesuchten Mann der Welt zu berichten.
Sie habe einen «Hauch von einem Agententhriller aus dem Kalten Krieg» gespürt, als die elektronische Einladung eingetroffen sei, berichtet Lokshina. Die Nachricht habe die Anweisung enthalten, zur Ankunftshalle des Flughafens zu gehen, wo sie «jemand des Flughafenpersonals mit einem Schild mit der Aufschrift ‹G9› erwarten» würde».
Lokshina denkt zuerst an einen schlechten Scherz – selbst als sie plötzlich von Medienanfragen überflutet wird. «Während ich Karottenbrei in den Mund meines jammernden Kindes balancierte und mit BBC sprach – Journalisten und Babys sind beide gleich quengelig – dachte ich immer noch, dass das Treffen nicht stattfinden würde», schildert sie.
«Wie jung er aussah»
Doch dann ruft die Flughafen-Security an und Lokshina weiss: «Das ist echt, der meistgesuchte Mann der Welt will mich treffen.» Auch die US-Botschaft meldet sich. Ob sie verstehe, dass Snowden kein Kämpfer für Menschenrechte, sondern ein Gesetzesbrecher sei? Lokshina beschliesst, Snowden später davon zu erzählen.
Nur mit Mühe schafft sie es an den Flughafen. «Was ich vor mir sah, war Wahnsinn. Ich dachte, die Medien würden mit im Rausch in Stücke reissen.» Doch danach spielt sich alles genauso ab, wie angekündigt: Am Flughafen steht ein Mann mit dem «G9»-Schild. Ein Bus fährt sie zusammen mit acht anderen Leuten zu einem anderen Eingang des Flughafens. Die Gruppe tritt ein – und dort steht er: «Herr Snowden», zusammen mit jemandem von Wikileaks und einer Übersetzerin.
«Mein erster Gedanke war, wie jung er aussah – wie ein Schuljunge.» Lokshina macht noch schnell zwei Fotos und schickt sie an Human Rights Watch – obwohl ihnen das Fotografieren zuvor untersagt wurde.
Die Menschenrechtsaktivistin ist hautnah dabei, als Snowden seine Rede hält, die schon Minuten später um die Welt geht. Snowden kündigt an, in Russland Asyl zu beantragen – um später doch noch nach Lateinamerika weiterzureisen. Als sie wieder zuhause ist, merkt Lokshina: «Es ist jetzt Mitternacht in Moskau – und ich hatte noch immer kein Frühstück.»