General SuworowDer tragische «Erlöser» der Schweiz
Russlands Präsident Dmitri Medwedew besuchte das Suworow-Denkmal in der Schöllenen-Schlucht. Er ehrte damit einen russischen Nationalhelden, der mit einem Gewaltmarsch über die Alpen vor 200 Jahren die Schweiz «befreien» wollte – und scheiterte.
- von
- Peter Blunschi
General Alexander Wassiljewitsch Suworow-Rymnikski war 70 Jahre alt, als er im Frühjahr 1799 mit seiner Armee aufbrach, um Norditalien von den Franzosen zu befreien. Im Zweiten Koalitionskrieg hatten sich mehrere europäische Mächte unter Führung von Österreich und Russland verbündet, um das verhasste Revolutionsregime in Paris zu stürzen und die alte Ordnung wiederherzustellen. Ein zentraler Kriegsschauplatz war die Schweiz.
1798 waren französische Truppen einmarschiert. Sie stürzten die Alte Eidgenossenschaft, schleppten den Berner Staatsschatz nach Paris und errichteten die Helvetische Republik. Den Koalitionstruppen gelang es anfangs, die Franzosen in den Westen zurückzudrängen. Der entscheidende Schlag sollte mit Suworows Hilfe erfolgen. Er hatte den Feind bereits aus der Lombardei vertrieben. Nun sollte er sich mit den österreichischen und russischen Truppen in der Schweiz vereinigen und die Franzosen endgültig aus dem Land jagen.
Das Verhängnis begann im Tessin
Am 15. September 1799 marschierte der Generalissimus mit mehr als 21 000 Mann ins Tessin ein – und sass erst einmal sechs Tage lang in der Nähe von Lugano fest, weil die von der österreichischen Militärverwaltung versprochenen Maultiere nicht eintrafen, die zur Überquerung der Alpen benötigt wurden. Die Verzögerung sollte sich verhängnisvoll auswirken. Vorerst allerdings lief alles nach Plan. Suworow überquerte mit seinen Soldaten den Gotthard. Am 25. September kam es bei der mythischen Teufelsbrücke in der Schöllenenschlucht zu einem blutigen Gefecht mit den Franzosen.
Die Russen siegten, und einen Tag später zog General Suworow in Altdorf ein, wo er sich als «Heiland» und «Erlöser der Schweiz» feiern liess. Doch da begannen die Probleme. Der geplante Vorstoss nach Schwyz erwies sich als unmöglich. Es gab noch keine Axenstrasse, nur schmale Trampelpfade entlang dem Vierwaldstättersee. Und die Schiffe hatten die Franzosen weggeschafft. Den Russen blieb nur der Marsch über den Kinzigpass nach Muotathal, wo Suworow eine Hiobsbotschaft erreichte.
Frankreich schlägt zurück
Die Franzosen unter General Masséna hatten Zürich von den Russen zurückerobert, gleichzeitig wurde das österreichische Heer bei Schänis besiegt. Wäre Suworow nicht im Tessin aufgehalten worden, hätte er rechtzeitig zu Hilfe eilen können. Nun aber war der ursprüngliche Plan Makulatur, die Franzosen waren auf dem Vormarsch, Suworow sass in der Falle. Er entschied sich, über den Pragelpass ins Glarnerland zu marschieren, von dort aus zum Walensee vorzustossen und den Gegenangriff zu versuchen.
Doch der Feind verwickelte die russischen Truppen immer wieder in Scharmützel. Angeblich stürzte dabei Suworows Kriegskasse in den Klöntalersee. Gefunden wurde allerdings nie etwas. In Glarus musste der General feststellen, dass sein Plan endgültig gescheitert war und französische Truppen den «Zigerschlitz» abgeriegelt hatten. Es blieb nur ein Ausweg: Der Rückzug über Elm und den Panixerpass nach Graubünden. Der Marsch übertraf an Strapazen alles vorherige. Die Kosaken quälten sich in zerschlissenen Schuhen über den 2500 Meter hohen Pass, auf dem bereits Schnee lag.
Spur der Verwüstung
Mit noch etwa 15 000 Mann, davon 10 000 kampffähig, erreichte Alexander Suworow am 10. Oktober Chur. Von dort aus zog er via Feldkirch in die Heimat. Die Franzosen waren wieder Herrscher über die Schweiz. Suworow aber erkrankte auf dem Heimweg und starb im Mai 1800, beim Zaren in Ungnade gefallen. Heute jedoch wird er als einer der grössten Helden der russischen Geschichte verehrt. Auch in der Schweiz gibt es entlang der Marschroute überall Gedenktafeln und -stätten für den Heerführer.
Das ist umso erstaunlicher, als Suworows Tross eine Spur der Verwüstung hinterliess. Wo die Soldaten hinkamen, frassen sie den Leuten die Haare vom Kopf. Nachschublinien gab es noch nicht, man holte sich vor Ort, was man brauchte. Am schlimmsten litt das Dörfchen Panix unterhalb der Passhöhe, wo sich die Russen alles nahmen, was nicht niet- und nagelfest war. Ein nach St. Petersburg geschicktes Gesuch um Entschädigung wurde nie beantwortet. Doch die Russen waren aus Schweizer Sicht die - gescheiterten - Befreier und die Franzosen die Besatzer, weshalb Suworow bis heute verehrt wird.
Russen am Gotthard
Das Suworow-Denkmal bei der Teufelsbrücke, das Präsident Medwedew mit seinem Besuch beehrt, wurde 1898 im Hinblick auf die 100-Jahr-Feier des Alpenzugs aus dem Gotthard-Granit gehauen. Das Grundstück gehört dem russischen Staat, es ist jedoch nicht, wie oft behauptet wird, russisches Hoheitsgebiet, sondern untersteht den Gesetzen der Schweiz. Während des Kalten Kriegs sorgte es dennoch für heisse Köpfe, dass die Russen ausgerechnet im Gebiet der Gotthard-Festung einen «Stützpunkt» besassen.