«Time-out»Der tragische Held dieser Saison
Er macht alles richtig und kommt doch nicht aus dem Keller der Tabelle heraus. Biels Trainer Kevin Schläpfer (41) ist der Sisyphos des Eishockeys.
- von
- Klaus Zaugg

Kevin Schläpfer: Macht alles richtig, hat aber keinen guten Torhüter.
Ein mutiges, grosses Biel hat gegen die ZSC Lions 4:5 verloren. Ich will gleich zur Sache kommen und es so sagen, wie es ist: Dieses Spiel hat Torhüter Marco Streit (34) verloren.
Sisyphos war kein Hockeytrainer. Er ist eine Gestalt aus der griechischen Sagenwelt. Seine Strafe für allerlei Schlaumeiereien und Sünden bestand darin, in der Unterwelt einen Felsblock einen steilen Hang hinaufzurollen. Kurz bevor er das Ende des Hangs erreichte, entglitt ihm der Stein, und er musste wieder von vorne anfangen. Deshalb nennen wir heute Aufgaben, die trotz grosser Mühen nicht zum Ziel und zum verdienten Lohn führen, Sisyphusarbeit.
Streit vermiest Schläpfer die Arbeit
Ein gutes Beispiel dafür ist die Arbeit von Trainer Kevin Schläpfer beim EHC Biel. Schläpfer hatte auch gegen die ZSC Lions alles richtig gemacht und den Stein schon fast auf den Berg des Sieges hinaufgerollt. Aber wegen Streits Fehlgriffen polterte er wieder ins Tal der Niederlage hinunter.
Streits erster Fehlgriff ermöglichte den Zürchern fünf Sekunden vor der zweiten Pause das 3:3. Damit waren sie zurück im Spiel. Und als sie in der Schlussphase unter Druck gerieten, Schläpfers Biel den Stein fast auf den Gipfel hinaufgerollt hatte, erlaubte ihnen Streit mit einem neuerlichen Fehlgriff das 5:3 und damit die Entscheidung. Wieder polterte der Stein hinuntern. Streits tapfere Vorderleute wurden um den Lohn ihrer heroischen Anstrengungen gebracht. Weil Reto Berra krank ist, stand Streit im Kasten.
Trainerwechsel würde nichts bringen
Die Bieler haben auch gegen die ZSC Lions so gespielt wie schon oft in dieser Saison. Mit Mut und Leidenschaft dominierte der Aussenseiter die Zweikämpfe. Das Spielkonzept von Trainer Kevin Schläpfer stimmte einmal mehr: Mit einer aktiven, Spielweise setzten die Bieler den Favoriten unter Druck und wenn sie in Scheibenbesitz kamen, entfalteten sie blitzschnell das Offensivspiel.
Diese Mannschaft lebt. Sie steht unter Strom. Sie wirkt dynamisch und emotional. Keine Spur von Resignation oder Frustration. Die Bieler stehen zwar auf dem zweitletzten Tabellenplatz. Aber ihr Auftreten entspricht nicht dem einer Krisenmannschaft. Im Gegenteil: Trainer Kevin Schläpfer ist es gelungen, das Innenleben seiner Mannschaft in schwierigen Zeiten intakt zu halten. Weil er in seinem Wesen und Wirken authentisch ist. Er sagt was er meint. Das spüren die Spieler. In Biel würde ein Trainerwechsel rein gar nichts bringen.
Torhüter ist im Eishockey extrem wichtig
Aber eben: Das richtige taktische Konzept, Mut und Leidenschaft nützen nichts, wenn der Torhüter daneben greift. John Fust hat in Langnau Nationaltorhüter Benjamin Conz, segelt auf Playoffkurs und ist ein Held. Schläpfer hat in Biel entweder Reto Berra oder Marco Streit, segelt auf Playoutkurs und ist kein Held. Sondern der Sisyphos des Eishockeys. Der tragische Held dieser Saison. Ich streue entgegen meiner Natur noch ein wenig Salz in die Wunden. Dave King, der legendäre kanadische Hockeytrainer und -Lehrer pflegt seine Referate über Taktik und Coaching mit einer launigen Bemerkungen abzuschliessen: «Wenn Sie aber keinen guten Torhüter haben, meine Herren, dann vergessen Sie gleich alles wieder, was wir in den letzten Stunden besprochen haben.» Worte ins Stammbuch von Kevin Schläpfer.
Wo wären die Bieler mit Benjamin Conz im Tor? Über dem Strich. Auf Playoffkurs. Und wo wären die Langnauer ohne Benjamin Conz? Unter dem Strich. Auf Playoutkurs.