Gewalt gegen Lehrer«Der Vater einer Schülerin beschimpfte mich als Diktator, Teufel und Satan»
Viele Lehrpersonen in der Schweiz sind psychischer und physischer Gewalt ausgeliefert. Der Lehrerverband schlägt Alarm und fordert Massnahmen.
Darum gehts
Zwei von drei Lehrpersonen haben in den vergangenen fünf Jahren Gewalt erlebt. Dies zeigt eine neue Studie des Dachverbands Lehrerinnen und Lehrer Schweiz LCH.
Hier findest du die wichtigsten Informationen.
Das sind die Fakten
«Es ist das erste Mal, dass eine so grosse Studie in der Deutschschweiz durchgeführt wurde», sagte Beat A. Schwendimann, Leiter Pädagogische Arbeitsstelle, am Montag vor den Medien. An der Umfrage nahmen 6789 Personen teil, davon 5435 Lehrpersonen. Dies entspricht 6,5 Prozent aller Lehrpersonen in der Deutschschweiz. Hochgerechnet auf 100’000 Lehrpersonen sind dies rund 65’000 betroffene Lehrpersonen.
Gewaltformen
Laut dem Lehrerverband sind extreme Formen von Gewalt wie Körperverletzung, sexuelle Übergriffe oder Angriffe mit Stich- und Schusswaffen sehr selten. Am häufigsten sind Lehrpersonen psychischer Gewalt in Form von Beleidigungen, Beschimpfungen, Bedrohungen oder Einschüchterungen ausgeliefert. Die vier häufigsten Aggressoren: Erziehungsberechtigte (36 Prozent), Schülerinnen und Schüler der eigenen Klasse (34 Prozent), andere Lehrpersonen (15 Prozent), Schulleitung (elf Prozent).
Fallbeispiele aus dem Alltag
«Der Vater einer Schülerin versperrte mir den Ausgang, nachdem ich ein Gespräch abbrechen musste, weil er mich als Diktator, Teufel und Satan beschimpft hatte», erzählt eine Lehrperson. «Ein Schüler hatte keine Lust, den Auftrag zu erfüllen. Als ich ihn darauf hinwies, sagte er: ‹F*** dich›», so eine weitere Lehrperson. Manche Lehrkräfte erfahren von Schülerinnen und Schülern zudem physische Gewalt: «Ich hatte einen schwer verhaltensauffälligen Jungen in der Klasse, der in Überforderungssituationen um sich schlug und trat. Meistens bekam ich etwas ab, weil ich andere Kinder, Gegenstände oder den Jungen selbst schützen musste. Manchmal war die Wut auch direkt gegen mich gerichtet», so eine Lehrperson. Mobbing durch Arbeitskollegen oder Vorgesetzte komme ebenfalls vor: «Bei einem Schulbesuch des Inspektors zog mein Vorgesetzter mein Verhalten während der Nachbesprechung einer Lektion ins Lächerliche und machte mich fertig. Im Folgejahr verliess ich die Stelle», erzählt eine Lehrperson.
Das sind die Folgen
Für die betroffenen Lehrpersonen hatten diese Erfahrungen Auswirkungen, meist in Form einer emotionalen Belastung. «Betroffene haben sich eine Auszeit nehmen müssen oder einen Schulwechsel durchgeführt. Es gab auch Betroffene, die sich überlegt haben, den Lehrberuf aufzugeben», sagte Studienleiterin Martina Brägger.
Forderungen des Lehrerverbands
«Uns ist es wichtig, dass die Schule ein gewaltfreier Raum bleibt», sagte Zentralpräsidentin Dagmar Rösler. «Lehrpersonen, die Gewalt erfahren, müssen ernst genommen werden. Unnötige Abgänge aus dem Lehrerberuf wollen wir mit diesen Forderungen vermeiden.» Der Lehrerverband fordert unter anderem die Schaffung einer unabhängigen Ombudsstelle, Interventions- und Krisenkonzepte an jeder Schule sowie die Gestaltung eines gewaltfreien Schulklimas.
Beissende Schüler und verletzte Lehrpersonen
Der Polizei wurden in der Vergangenheit mehrere Fälle von Gewalt gegen Lehrpersonen gemeldet. So verprügelte eine Freiburger Schülerin 2019 ihren Lehrer vor der Klasse. Dies, nachdem sie zuvor von der Schule verwiesen worden war, da sie wiederholt den Unterricht gestört haben soll. Der Lehrer erlitt beim Angriff Verletzungen an der Stirn. Im März 2018 sprach eine Berufsschule in Luzern wegen Drohungen gegen Lehrkräfte ein Hausverbot gegen einen Lernenden aus. Später kehrte der Schüler trotzdem zurück und schlug auf seinen Lehrer ein. Dieser musste ins Spital, die Schule reichte Strafanzeige ein. In Basel schlug die Lehrergewerkschaft 2018 Alarm: Es gingen mehrere Meldungen über beissende Schülerinnen und Schüler ein.
Bist du oder ist jemand, den du kennst, von sexualisierter, häuslicher, psychischer oder anderer Gewalt betroffen?
Hier findest du Hilfe:
Polizei nach Kanton
Beratungsstellen der Opferhilfe Schweiz
Lilli.ch, Onlineberatung für Jugendliche
Frauenhäuser in der Schweiz und Liechtenstein
Zwüschehalt, Schutzhäuser für Männer
LGBT+ Helpline, Tel. 0800 133 133
Alter ohne Gewalt, Tel. 0848 00 13 13
Dargebotene Hand, Sorgen-Hotline, Tel. 143
Pro Juventute, Beratung für Kinder und Jugendliche, Tel. 147
Beratungsstellen für gewaltausübende Personen
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