SP-Politiker verdächtigt Gemeinde, den Fall Seegräben inszeniert zu haben

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Fall Seegräben «Der Vorfall klingt inszeniert – und spielt der SVP in die Hände»

Dass in Seegräben ZH ein Mieter für Geflüchtete seine Wohnung räumen muss, sorgte schweizweit für Furore. Nun vermutet ein SP-Politiker gezielte Inszenierung der Gemeinde.

von
Gabriela Graber
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Dieser Brief der Gemeinde Seegräben kursierte am Freitag auf Social Media. 

Dieser Brief der Gemeinde Seegräben kursierte am Freitag auf Social Media. 

Screenshot Facebook 
In dem Dokument schreibt die Gemeinde, dass sie durch den Kanton angewiesen wurden, Wohnraum zur Verfügung zu stellen, um zusätzliche Schutzsuchende aufnehmen zu können. 

In dem Dokument schreibt die Gemeinde, dass sie durch den Kanton angewiesen wurden, Wohnraum zur Verfügung zu stellen, um zusätzliche Schutzsuchende aufnehmen zu können. 

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Daher müssen sie den Mietvertrag eines langjährigen Mieters per 31.5.2023 kündigen. 

Daher müssen sie den Mietvertrag eines langjährigen Mieters per 31.5.2023 kündigen. 

20min/ths

Darum gehts

  • Da sie für Asylsuchende verwendet werden soll, muss ein Mieter in Seegräben seine Gemeindewohnung verlassen.

  • SP-Politiker Michael Grossenbacher vermutet, dass der Vorfall absichtlich inszeniert wurde. Gemeindepräsident Marco Pezzatti wehrt die Vorwürfe ab.

  • «Ich bin froh, dass die Bevölkerung nun Bescheid weiss», sagt der betroffene Mieter André Steiner.

«Ausgerechnet ein SVP-Politiker wirft einen langjährigen Mieter wegen ‹hoher Migrationszahlen› aus der Wohnung? Ja! Natürlich!» Auf Facebook kritisiert der Berner SP-Nationalratskandidat Michael Grossenbacher das Kündigungsschreiben der Gemeinde Seegräben, das am Freitag schweizweit grosses Aufsehen erregt hatte, scharf. In dem von einem SVP-Gemeinderat und dem Finanzverwalter unterzeichneten Schreiben hält Seegräben fest, dass ein Mieter seine Wohnung per 31.5.2023 verlassen müsse, da darin künftig Asylsuchende und Flüchtlinge untergebracht werden sollen.

«Das Ganze klingt inszeniert»

«Als ich das Schreiben auf Social Media entdeckte, wurde ich sofort stutzig und begann zu recherchieren.» Was er gefunden habe, habe seine Thesen bestätigt. «In Seegräben scheint das Interesse für Politik gering zu sein – im März 2022 wurde der stark bürgerlich dominierte Gemeinderat in stiller Wahl bestätigt. Die können also machen, was sie wollen, ohne ihre Posten zu gefährden», sagt Grossenbacher. Auch sehr befremdlich komme ihm vor, dass laut Zürcher Sicherheitsdirektion die Gemeinde die aktuellen Vorgaben bereits erfülle. Das berichtete SRF am Freitag. 

Grossenbacher habe von 2015 – 2020 sehr aktiv in der Flüchtlingshilfe mitgearbeitet. «Gemäss meiner Erfahrung lässt sich für fünf Leute immer eine Lösung finden», so der SP-Politiker. «Das Ganze klingt inszeniert – und spielt der SVP zu Beginn des Wahljahres in die Hände», so Grossenbacher. 

Wurde dir schon einmal der Mietvertrag gekündigt?

«Bedaure, dass der Vorfall jetzt missbraucht wird»

Marco Pezzatti, Gemeindepräsident von Seegräben, kontert diese Vorwürfe. «Bei dem, was passiert ist, handelt es sich um einen kommunalen Akt, der fern von politischem Programm und Parteizugehörigkeit der Gemeinderatsmitglieder geschah.» Diese Aufmerksamkeit habe Seegräben nicht gesucht. Seit Freitagnachmittag wird der Gemeinderat mit Hassmails eingedeckt. Allein Pezzatti hat rund hundert solche E-Mails erhalten, in denen er teilweise an Leib und Leben bedroht werde. «Ich bedauere es auch, dass der Vorfall jetzt missbraucht wird, um Hetze gegen Flüchtlinge zu machen.» 

Zur Aussage der Zürcher Sicherheitsdirektion, dass Seegräben derzeit bereits die Aufnahmepflicht erfülle, sagt Pezzatti, dass die Gemeinde und der Kanton wahrscheinlich anders rechnen würden. Am Montag werde er überprüfen, woher die Differenz rühre. 

«Muss manchmal mit der zweit- oder drittbesten Lösung leben»

«Der Fall in Seegräben zeigt, dass eine Güterabwägung gemacht worden ist: Man findet für eine Einzelperson eher eine Lösung als für eine ganze Familie», so Hannes Germann, Präsident des Gemeindeverbandes und SVP-Ständerat. Er gehe davon aus, dass in der Gemeinde die entsprechenden Kapazitäten und Alternativlösungen berücksichtigt wurden. «Seit Beginn des Krieges haben Gemeinden 70’000 ukrainische Flüchtlinge aufgenommen. Die Schweiz leidet unter dem Zuwanderungsdruck, die Wohnungsnot hat sich verschärft. Deshalb muss man halt manchmal mit der zweit- oder drittbesten Lösung leben.»

Es sei natürlich schwer akzeptabel, dass langjährige Mieterinnen und Mieter ihre Wohnung verlassen müssten. «Gleichzeitig ist es ein Weg, solidarisch zu sein mit dem Land und den Menschen, die derart unter dem Krieg leiden. Aber solche Vorfälle müssen die Ausnahme bleiben, sonst führt das zu unguten Gefühlen gegenüber Geflüchteten.» 

«Froh, dass die Bevölkerung nun Bescheid weiss»

Einen Tag nach dem Medienrummel zeigt sich der Mieter André Steiner (47) zufrieden. «Ich bin froh, dass die Bevölkerung nun Bescheid weiss. Ich habe gutes Feedback erhalten und spüre grosse Unterstützung im Dorf, von Freunden und Bekannten.» Steiner werde kommende Woche seine Rechtsschutzversicherung kontaktieren und seine Möglichkeiten abklären. «Was ich brauche, ist mehr Zeit. Ich habe ein Haus voller Kram – es ist nicht realistisch, dass ich den in nur drei Monaten räumen kann.» Um das Haus kämpfen will Steiner jedoch im Moment nicht. «Ich habe nicht die Kraft, um das Ganze weiterzuziehen.»

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