Diego Maradonas GötterstatusDeshalb verziehen die Argentinier Maradona all seine Exzesse
Nach seiner Fussballerkarriere war Maradona eine Karikatur seiner selbst. Dass er in Argentinien dennoch vergöttert wurde, hat tiefe kulturelle Gründe.
- von
- Fabian Sangines
Darum gehts
Diego Maradonas Tod trifft in Argentinien selbst Menschen, die keine Fussballfans sind
Trotz seiner Eskapaden behielt er in Argentinien immer seinen Heldenstatus
Seine Gala gegen England half dem ganzen Land, ein schweres Trauma zu überwinden
Alkoholexzesse, Drogeneskapaden, Streit um Vaterschaftstests. Wer Diego Armando Maradona nie spielen gesehen hat, der hat für ihn oft nur eine Aussage übrig: Was für ein Schwein! Doch in seiner Heimat, da ist die am Mittwoch verstorbene Fussballlegende ein Held. Oder mehr noch: ein Gott. Aus Parodie wurde gar die «Iglesia maradoniana», die «maradonianische Kirche» gegründet. Aus dem «Vater unser» wurde das «Diego unser». Trotz der vielen Schlagzeilen, diese spielten dort keine Rolle. Der 2015 verstorbene Autor Eduardo Galeano sagte mal, darauf angesprochen: «Was interessiert es mich, was Diego mit seinem Leben macht? Wichtig ist, was er mit meinem Leben gemacht hat.» Und für die Argentinier, für sein Volk, machte er verdammt viel.
Vier Jahre sind verstrichen seit dem Krieg um die Falklandinseln, an dem das britische Königreich den Argentiniern eine historische Schmach zufügte. Offiziell starben 649 Argentinier im Kampf um die Insel 395 Kilometer östlich von Südargentinien. Diese Narbe, sie ist noch tief eingebrannt, als Maradona und Konsorten an die WM 1986 nach Mexiko fliegen. Und es kommt im Viertelfinal prompt zu diesem Duell: Der Gegner heisst England. Heute bezeichnet es sogar Frankreichs Präsident Emmanuel Macron als «das geopolitischste Spiel der Fussballgeschichte». Und auch wenn Argentiniens Nationaltrainer Carlos Bilardo inständig bittet, bei dem Spiel nicht an die «Malvinas» zu denken, heizt Captain Maradona seiner Mannschaft ein: «Los, die haben einen Haufen unserer Jungs getötet!»
Für einen Augenblick liess er alle Sorgen vergessen
Der Rest ist Fussballgeschichte. Das erste Tor erzielte Maradona mit der «Hand Gottes» und wird später stolz über die Szene sagen: «Es war, als hätte ich einem Engländer das Portemonnaie geklaut.» Und dann mit seinem zweiten Streich dieser Sololauf für die Ewigkeit. Später krönt er sich und sein Land zum Weltmeister. Der Krieg? Die eben erst überwundene Militärdiktatur? Die beispiellose Wirtschaftskrise? Immerhin für einen Augenblick liess er seine Landsleute all diese traumatischen Sorgen vergessen.
Maradonas Tor des Jahrhunderts gegen England.
Vor allem aber blieb Maradona immer ein Mann des Volkes. Er sprach öffentlich aus, was viele Argentinier dachten. So auch 1982 an der WM in Spanien, wenige Tage nach dem Falkland-Krieg. Diego Armando Maradona und sein Team haben anderes im Kopf, müssen aber dennoch Fussball spielen, und sie tun das unerwartet schlecht. Also steht Maradona, der Fussballer, hin, und sagt in die Mikrofone: «Die korrupte Fifa lässt uns eine WM austragen, während bei uns daheim Hunderte argentinische Jungs abgeschlachtet werden.» Die Argentinier bewundern diesen Mut. Und den Nationalstolz. Als er an der WM 1990 im Halbfinal gegen Gastgeber Italien spielt, flucht er lautstark während der italienischen Hymne – obwohl er da noch Napoli-Spieler ist. Grund? Die Italiener hatten diejenige Argentiniens ausgepfiffen. «Und das, obwohl wir nach dem Zweiten Weltkrieg so viele von ihnen aufgenommen haben», wird er später erklären.
Das alles ist nur ein Teil der Erklärung, wieso eine dreitägige Staatstrauer ausgerufen wurde. Wieso seine Trauerfeier im Präsidentenpalast stattfindet. Wieso dort über eine Million Menschen unter Tränen ihren Diego auf seine letzte Reise schicken werden. Oder wie nun nach dem Tod Maradonas eine argentinische Fussball-Satireseite auf Social Media schreibt: «Gott kehrt zurück.»