Diplomatische VerstimmungDeutscher Botschafter muss in Bern antraben
Der Bundesrat ist verärgert über Deutschland. «In Form und Inhalt inakzeptabel» seien die Äusserungen des deutschen Finanzministers Peer Steinbrück zum Schweizer Steuersystem. Dies wurde Deutschlands Botschafter Axel Berg klargemacht.
Michael Ambühl, Staatssekretär im Eidg. Departement für auswärtige Angelegenheiten (EDA), empfing den von Bundesrätin Micheline Calmy-Rey vorgeladenen deutschen Botschafter im Aussenministerium, wie EDA-Sprecher Lars Knuchel der Nachrichtenagentur SDA sagte.
Gegenüber dem Vertreter des Nachbarlandes solle das Departement für auswärtige Angelegenheiten die Empörung und die Überraschung des Bundesrates ausdrücken, hatte Calmy-Rey nach der Bundesratssitzung vor den Medien in Bern gesagt. Die Wortwahl Steinbrücks sei aus Sicht des Bunderates unzulässig.
«Stick» oder «Peitsche» seien keine geeigneten Ausdrücke gegenüber der Schweiz, unterstrich Calmy-Rey in der Sendung «10vor10» von Schweizer Fernsehen SF am Mittwochabend. Steinbrück hatte die englische Formulierung «carrot and stick» verwendet - zu deutsch wörtlich: «Rübe und Stock». Dies wurde später mit «Zuckerbrot und Peitsche» übersetzt.
Die Schweiz zahle Deutschland auf Grund eines Steuerabkommens Millionen - im vergangenen Jahr zum Beispiel 130 Millionen, sagte die Aussenministerin und mahnte: Für Steuerreformen im eigenen Land seien die Schweizer zuständig.
Die Schweiz war am Dienstag an einem Ministertreffen von 17 Mitgliedsstaaten der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) wegen ihrer Steuerpraxis erneut kritisiert worden. Eine Mehrzahl der OECD-Länder will sie wegen unfairen Wettbewerbs und mangelnder Kooperation auf die Schwarze Liste der Steuerparadiese verbannen.
Empörung über «Peitsche»
Steinbrück hatte nach dem Treffen in Paris gesagt, dass - auf Deutsch übersetzt - «nicht nur das Zuckerbrot, sondern auch die Peitsche» benutzt werden müssten. Namentlich das Wort «Peitsche» habe den Bundesrat empört.
Die Schweiz biete Konditionen an, die deutsche Steuerzahler dazu einlüden, in Deutschland Steuern zu hinterziehen, sagte Steinbrück. «Deshalb gehört die Schweiz nach meiner Auffassung auf eine solche Liste.»
Die Schweiz habe bei Differenzen in Sachen Steuern bisher auf den Dialog gesetzt, sagte Calmy-Rey am Mittwochvormittag weiter. Im Dezember sei ein Treffen von Bundespräsident Pascal Couchepin und José Manuel Barroso, dem Präsidenten der EU-Kommission, angesetzt.
Grünes Licht für Betrugsbekämpfung
Der Bundesrat gab unterdessen am Mittwoch grünes Licht für die Ratifizierung des Betrugsbekämpfungsabkommens mit der Europäischen Union, wie Hans Georg Nussbaum, Chef Rechtsdienst bei der Oberzolldirektion, auf Anfrage der SDA sagte.
Unterzeichnet worden war das Abkommen am 26. Oktober 2004 im Rahmen der Bilateralen II. Es umfasst eine verstärkte Zusammenarbeit im Kampf gegen Steuerbetrug und Steuerhinterziehung bei indirekten Steuern wie Zoll, Mehrwertsteuer und Verbrauchssteuer - nicht aber direkte Steuern.
Ratifizierung in sechs EU-Staaten ausstehend
Den EU-Staaten entstehen nach eigenen Aussagen durch Abgabe- und Subventionsdelikte hohe finanzielle Verluste. Dass die verstärkte Kooperation mit der Schweiz aber weiterhin Zukunftsmusik ist, liegt daran, dass das Abkommen in allen EU-Staaten nach deren nationalen Verfahren ratifiziert werden muss. (sda)