Tote Mädchen in Gerlafingen SO«Die ältere Schwester dürfte schwer traumatisiert sein»
In einer Wohnung in Gerlafingen wurden zwei tote Mädchen gefunden, die Mutter wurde als dringend tatverdächtig festgenommen. Forensiker Thomas Knecht über mögliche Motive für eine Kindstötung.
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- N. Knüsel/R. Casablanca/S. Ulrich
Nachbarn sind schockiert: «Ich zittere noch immer», sagt Lisa Kauer.
Darum gehts
In einer neuen Überbauung in Gerlafingen wurden am Samstagmorgen zwei tote Kinder aufgefunden.
Die beiden Mädchen im Kindergarten- und Primarschulalter sollen getötet worden sein – die dringend tatverdächtige Mutter wurde verhaftet.
Die Frau hatte noch eine dritte Tochter: «Sie dürfte schwer traumatisiert sein», so ein Forensiker.
Zudem legt er mögliche Tatmotive dar.
Gerlafingen steht unter Schock: Am Samstagmorgen fand die Polizei in einer Wohnung zwei tote Mädchen im Schulalter. Nach Informationen von 20 Minuten besuchte die eine den Kindergarten, die andere besuchte die Primarschule im Ort. Die Behörden gehen von einem Gewaltdelikt aus: Die Mutter der beiden wurde als dringend tatverdächtig festgenommen.
Wie 20 Minuten zudem weiss, hatte die Frau noch eine dritte Tochter. Diese ist einige Jahre älter als die beiden getöteten Mädchen. Ob sie zum Tatzeitpunkt in der Wohnung war, ist unklar – die Kapo Solothurn verweist auf die laufenden Ermittlungen und gibt keine weiteren Informationen bekannt.
Für Forensiker Thomas Knecht ist aber klar: Bei der ältesten Schwester dürfte die Erfahrung ein sehr schweres Trauma auslösen. «Ein so unverständliches Ereignis wirkt noch sehr lange nach», so Knecht. Es sei sehr wichtig, dass das Mädchen psychologisch behandelt werde, um mit dem Erlebten fertig werden zu können.
Mehrere mögliche Ursachen
Was treibt eine Mutter dazu, ihre eigenen Kinder zu töten? «Der Antrieb muss auf jeden Fall sehr stark sein», sagt Knecht. Denn die natürliche Tötungshemmung des Menschen sei gegenüber Blutsverwandten und insbesondere Kindern noch stärker ausgeprägt. Er sieht mehrere mögliche Ursachen für eine solche Tat. «So kann es etwa sein, dass sich die Mutter in einer, aus ihrer Sicht, ausweglosen Situation befand.» Dabei spiele oft eine wahrgenommener Mangel an Unterstützung und eine Versorgungsnotlage eine Rolle. Das könnten etwa grosse finanzielle Probleme sein.
Die zweite Variante sei, dass die Mutter unter einer schweren psychischen Störung leide: «Sie kann dann die Realität an sich nicht mehr einschätzen.» Das könne etwa bei depressiven oder paranoid-psychotischen Erkrankungen der Fall sein. Schliesslich gebe es noch die Möglichkeit, dass eine Mutter aus Rachegefühlen etwa gegenüber dem Kindsvater eine solche Tat begehe: «Das ist aber sehr selten», so Knecht.
Kindstötungen in der Schweiz
Dass Mütter ihre Kinder töten, kommt in der Schweiz immer wieder vor. Die bekanntesten Fälle:
• In Uitikon ZH tötete eine 30-Jährige sich selbst und ihre beiden Zwillinge (4). Ein Passant fand die drei Leichen in einem Waldstück. Die Tat ereignete sich am 10. August 2020.
• Am 20. Januar 2019 misshandelte eine damals 30-jährige Frau in Bülach ZH ihren vierjährigen Sohn so schwer, dass er an den Folgen der Verletzungen starb. Sie hat ihn unter anderem mit einem Gürtel oder Kabel geschlagen. Im November 2020 wurde sie wegen fahrlässiger Tötung verurteilt. Wegen ihrer paranoiden Schizophrenie wurde sie zu einer stationären therapeutischen Massnahme verurteilt.
• Kurz nach der Geburt ihres Kindes steckte eine damals 25-Jährige es in einen Eimer, worauf dieses starb. Die Tat ereignete sich im Januar 2016 in Horgen ZH. Die Frau wurde zu einer bedingten Freiheitsstrafe verurteilt.
• In Flaach ZH tötete am 1. Januar 2015 die 26-jährige Nathalie K. ihre beiden Kinder (2 und 5 Jahre alt). Sie selbst nahm sich im August 2015 im Gefängnis das Leben.
Im Fall von Gerlafingen sind die Ermittlungen noch nicht abgeschlossen. Obwohl die Polizei die Mutter als dringend tatverdächtig erachtet, gilt für sie die Unschuldsvermutung.
Gemeinde trauert
Nachbarn sagten, sie hätten nichts von familiären Problemen mitbekommen: «Sie machten einen sehr glücklichen Eindruck», sp etwa Manila Karimi. Das überrascht Forensiker Knecht nicht: «Eine Mutter, die sich in die Richtung einer Kindstötung gedrängt fühlt, wird sich nichts anmerken lassen.» Gerade weil eine solche Tat einen riesigen Tabubruch darstelle, werde die Fassade mit aller Kraft aufrechterhalten.
«Wir sind zutiefst bestürzt über diesen tragischen Vorfall», schreiben Gemeinde und Schule Gerlafingen in einer Mitteilung: «In Gedanken sind wir bei den Angehörigen, Verwandten und Bekannten der beiden Kinder und sprechen ihnen unser herzlichstes Beileid aus.» Man wolle die betroffenen Lehrpersonen und die Mitschüler bei der Verarbeitung des Ereignisses bestmöglich unterstützen.
Bist du oder jemand, den du kennst, von sexualisierter, häuslicher, psychischer oder anderer Gewalt betroffen?
Hier findest du Hilfe:
Polizei nach Kanton
Beratungsstellen der Opferhilfe Schweiz
Fachstelle Frauenberatung
Onlineberatung für Frauen (BIF)
Onlineberatung für Männer
Onlineberatung für Jugendliche
Frauenhäuser in der Schweiz und Liechtenstein
Zwüschehalt, Schutzhäuser für Männer
LGBT+ Helpline, Tel. 0800 133 133
Dargebotene Hand, Tel. 143
Pro Juventute, Tel. 147