7 Tage im TestDie Apple Watch – meine erste Uhr seit 25 Jahren
20 Minuten hat die Apple Watch sieben Tage lang getestet. Was macht die Datenuhr mit jemandem, der seit 25 Jahren keine Uhr mehr getragen hat?
- von
- T. Bolzern
Mit der Watch falle ich auf, egal wo ich bin. Sobald jemand das Gadget sichtet, bildet sich sofort eine Menschentraube um mich herum und ich werde mit Fragen gelöchert. Seit der Lancierung am 10. April ist die Uhr nicht nur unter Technikbegeisterten ein heisses Thema. Es soll Leute geben, die extra einen Flug gebucht haben, um ihr neustes Spielzeug an der Sicherheitskontrolle mit viel Trara zur Schau zu stellen.
Meine Uhr war während der sieben Tage meist unter dem Pulli versteckt, auch, weil ich nicht die gleichen Fragen immer wieder beantworten wollte. «Ja, man muss die Watch jeden Tag aufladen, versäumt man es, wirds dunkel». Und: «Ja, man kann damit telefonieren, aber ich kenne niemanden, ausser vielleicht David Hasselhoff, der das machen würde.» Der Hype um die erste Datenuhr von Apple ist riesig. Doch was bringt sie im Alltag? Oder ist die Uhr am Ende nur ein überteuertes Accessoire für Fanboys?
Die Uhr: das Neuland
Auf die technischen Daten der Uhr soll an dieser Stelle nicht mehr eingegangen werden, das wurde hier und hier bereits getan. Dieser Text ist der Erfahrungsbericht von jemandem, der seit 25 Jahren ohne Uhr am Handgelenk lebt.
Was also passiert mit mir, wenn plötzlich etwas mein Handgelenk umklammert – und erst noch nicht nur die Zeit, sondern auch meinen Puls und zig Benachrichtigungen anzeigt? Die erste Reaktion: Stress. «Der nächste Termin beginnt in fünf Minuten», teilt die Uhr mit einem leichten Vibrieren am Handgelenk mit. Ein verpasster Anruf, zwei verpasste Anrufe. Unermüdlich mahnt sie zudem, mich zu bewegen – selbst um 1 Uhr nachts klopfte die Watch in den sieben Tagen einmal ans Handgelenk und forderte mich auf, eine Minute lang aufzustehen. Ich habe mich umgedreht.
Mit der Idee der Uhr kann ich mich erst anfreunden, als ich den Benachrichtigungswahnsinn unter Kontrolle bringe. So lassen sich mit der Companion-App fürs iPhone viele der Benachrichtigungen eindämmen oder ganz abstellen. Am Handgelenk wird es ruhiger.
Warten auf die Uhr
Dafür ist Warten angesagt – zu oft für mein Empfinden. Vom Klicken bis zum vollständigen Öffnen einer App können schon mal ein paar Sekunden vergehen. Maximal gezählt habe ich 14. Hier muss Apple nachbessern. Bleibt zu hoffen, dass die geplanten Native-Apps, die direkt auf der Uhr laufen und nicht einfach ein Abbild einer iPhone-App sind, schneller werden. Allgemein ist die Bedienung der Uhr nicht so intuitiv wie bei einem Smartphone. Bereits nach zwei Tagen hatte ich mich daran aber gewöhnt.
Vielversprechend ist die Bedienung per Force-Touch. Das ist eine Art Rechtsklick auf der Uhr, der mit festerem Druck angesteuert wird. Trotz ihrer Vorzüge setzen Apple und Drittentwickler die Funktion noch zu zaghaft ein. Die Bedienung per Drehrad – Apple nennt es digitale Krone – ist etwas fummelig, besonders beim Gehen. Hier fährt man meist mit dem Finger auf dem Display besser. Wobei das Treffen der einzelnen Apps auf dem kleinen Zifferblatt nicht ganz einfach ist.
Das Fazit
Wie Smartwatches im Allgemeinen ist auch die Apple Watch etwas für Leute, die von Notifications besessen sind. Wer nicht der Typ Mensch ist, der sofort nach dem Handy greift, sobald es nach Aufmerksamkeit schreit, dem wird eine Smartwatch nur wenig Mehrwert im Leben bringen. Diese Meinung teilt bemerkenswerterweise auch Matías Duarte, Vizepräsident Design bei Google. Heutzutage sei eine Smartwatch überflüssig und etwas für Fitness-Enthusiasten, sagte Duarte jüngst dem Wirtschaftsdienst Bloomberg. Er glaubt aber, dass sich das in Zukunft ändern werde. Computer würden mehr und mehr durch eine Serie smarter Geräte ersetzt. «Diese werden wir so selbstverständlich bedienen wie heute Apps.»
Hier liegt auch das Problem von Smartwatches: Die grosse Masse ist noch nicht bereit dafür (das haben bisherige Verkaufszahlen gezeigt). Und: Die Apple Watch ist noch nicht bereit für die grosse Masse. Diese müsste nämlich bereit sein, alle zwei, drei Jahre ein paar hundert Franken in eine neue Uhr zu investieren, um up to date zu bleiben. Geld, das man aus dem eigenen Sack bezahlen muss. Denn anders als beim Handy gibt es bisher keinen Mobilfunkanbieter, der ein subventioniertes Paket mit einer Uhr anbietet.
Eines aber hat die Apple Watch in dieser Woche erreicht. Ich habe (etwas) weniger Zeit mit meinem Smartphone verbracht. Weil bisher an meinem Arm eine Uhr fehlte, zückte ich jeweils das Mobiltelefon, um die Zeit zu checken. Und wenn ich es gerade schon in der Hand hatte, kam zusätzlich ein Blick in den Feed von Facebook, Twitter und ins eigene Postfach hinzu. Eine Uhr am Handgelenk vermindert mein permanentes Onlinesein. Zweimal habe ich mich in den letzten sieben Tagen dabei erwischt, wie ich online nach Uhren gesucht habe – analogen, versteht sich.
Mit Tattoos am Unterarm funktioniert die Apple Watch nicht wichtig. Talkmaster Conan O'Brien hat die Lösung parat. (Video: Youtube/TeamCoco)
Begehrtes Gadget
Knapp 25 Prozent der 20-Minuten-Leser wollen sich in den nächsten zwölf Monaten eine Smartwatch kaufen. Jeder fünfte entscheidet sich für eine Apple Watch. So das Ergebnis von früheren Umfragen.