Langstreckenraketen-Lieferung«Die Briten sind offenbar zu erheblichen Risiken bereit»
Grossbritannien hat der Ukraine ihre Marschflugkörper «Storm Shadow» geliefert. Diese kann jetzt auch Ziele auf der russisch annektierten ukrainischen Halbinsel Krim erreichen. Ist das eine neue Eskalationsstufe im russischen Angriffskrieg?
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Darum gehts
Grossbritannien hat der Ukraine als erstes Land Langstreckenwaffen geliefert.
Für das britische Verteidigungsministerium ist die Lieferung von «Storm Shadow»-Raketen eine «verhältnismässige Antwort» auf die russische Invasion.
Damit kann Kiew jetzt Ziele auf der russisch annektierten ukrainischen Halbinsel Krim erreichen.
Die Rede ist von einem «Gamechanger» im Angriffskrieg auf die Ukraine.
20 Minuten wollte es genauer wissen und fragte beim Sicherheitsanalysten Roland Popp von der Militärakademie an der ETH Zürich nach.
Der britische Verteidigungsminister hat die Lieferung von «Storm Shadow»-Raketen an die Ukraine bestätigt. Verteidigungsminister Ben Wallace erklärte, die Entscheidung sei eine «kalibrierte und verhältnismässige Antwort» auf die russische Invasion.
Der Marschflugkörper «Storm Shadow» hat eine Reichweite von über 250 km. Bei ausreichender Anzahl könnte der Flugkörper die russischen Kapazitäten erheblich erschweren. Entsprechend zogen die Lieferungen weltweit Schlagzeilen nach sich, von «Gamechanger» ist die Rede, und dass die Briten mit den «Storm Shadow»-Raketen eine von Russland gesetzte rote Linie überschritten hätten.
Hysterie oder wirklich eine neue Eskalationsstufe? Nachgefragt bei Sicherheitsanalyst Roland Popp von der Militärakademie an der ETH Zürich.
Herr Popp, Grossbritannien liefert der Ukraine Marschflugkörper, die auch russisches Gebiet erreichen können. Ein Tabubruch?
Insofern, dass die Entscheidung in Russland viele Leute sehr fuchsen dürfte. Es ist ähnlich wie bei der Diskussion um die Kurzstreckenraketen ATACMS der Amerikaner. Die Letzteren haben allerdings einen anderen Zweck, sie werden eher zur Bombardierung einer grösseren Fläche eingesetzt. Marschflugkörper wie «Storm Shadows» dagegen werden mit weitaus grösserer Präzision gegen gehärtete Ziele eingesetzt.
Gehärtete Ziele?
Genau. Der Marschflugkörper hat einen Tandem-Gefechtskopf: Eine Hohlladung bohrt quasi ein Loch rein, die andere dringt weitaus tiefer ein und detoniert mit Verzögerung, um gehärtete Ziele wie Kommando- und Leitzentralen oder andere sehr wichtige Ziele auszuschalten. Damit hätte die Ukraine jetzt also die Möglichkeit, empfindliche Ziele im russischen Territorium zu treffen. Wenn man es riskiert, würde man damit zum Beispiel nahe an die Kerscht-Brücke rankommen.
«Es ist eine ziemliche Eskalation»
Sind diese Waffen also eine neue Dimension in diesem Krieg?
Ja – es ist eine ziemliche Eskalation. Doch es gibt ein Aber, das alles wieder etwas beruhigt. Zum einen werden die Briten nur eine begrenzte Stückzahl dieser Waffenart geliefert haben. Zum anderen haben sich die Ukrainer offenbar verpflichtet, solche Waffen nur gegen Ziele auf ukrainischem Territorium einzusetzen – wobei ich auf diese Zusage nicht unbedingt vertrauen würde, bei einem Land, das sich in einem Existenzkampf befindet und ab einem bestimmten Punkt vor nichts zurückschrecken wird. Aber die Briten sind offenbar zu erheblichen Risiken bereit. Und dann gibt es noch einen dritten Aspekt.
Der da wäre?
Dass diese Marschflugkörper «air launched cruise missiles» sind, also «luftgestützt» von einem Flugzeug aus abgefeuert werden müssen. Die Raketen sind für westliche Jets wie etwa den Eurofighter Typhoon entwickelt worden. Das heisst, die Ukrainer müssen ihre Kampfflugzeuge umrüsten, damit diese die sehr schwere Waffe tragen können. Die Experten im Bereich der Luftkriegführung nennen den älteren taktischen Bomber aus der Sowjetzeit, die Suchoi SU-24, als geeignet. Offenbar wurden einige bereits umgerüstet. Angesichts der Reichweiten wäre ein Angriff auf die Kertsch-Brücke ohnehin ein Wagnis.
«Ich kann nicht ausschliessen, dass Moskau selbst auf weitere Eskalation setzt»
Also nur ein halber Schritt auf der Eskalationsstufe – auch aus der Sicht Russlands?
Kaum. Der Kreml wird das durchaus als Eskalation sehen. Zu befürchten ist womöglich ein gezielter Vergeltungsakt gegen die Briten, zum Beispiel deren Aufklärungsflugzeuge. Ich kann nicht ausschliessen, dass Moskau wegen dieser britischen Waffenlieferung selbst auf weitere Eskalation setzt.
Noch zum Schluss: In Bachmut sind den Ukrainern offenbar Durchbrüche gelungen. Was denken Sie, wenn Sie derlei lesen?
Gestern scheint wirklich viel los gewesen zu sein, das hat sich heute aber schon wieder entspannt. Wirkliche Durchbrüche wurden meines Wissens bislang nicht erzielt. Aber letztlich fehlen uns zuverlässige Informationen.
Das erste Land mit Langstreckenwaffen
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