Auswanderer Karasek «Die Entdeckung der Langsamkeit tut gut»
Der ehemalige TeleZüri-Journalist David Karasek ist vor drei Monaten nach Kolumbien ausgewandert. Seither steht er überall an und ist wachsamer geworden.
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Diese Szene erlebte David Karasek am Flughafen Zürich – er verbringt Weihnachten in der Schweiz. Als er ins Taxi stieg, merkte er, dass er sich veränderte hat: «Der Fahrer ärgerte sich über den Stau. Was für ein Stau?» Denn in seiner neuen Heimat Bogotá sei der Verkehr eigentlich immer stockend: «Für zehn Kilometer braucht man eine Stunde.» Und es gebe kein richtiges ÖV-Netz.
Vor drei Monaten ist der ehemalige TeleZüri-Journalist und Radio-1-Moderator mit seinem Partner ausgewandert – in Kolumbiens Hauptstadt erscheint ihm der Schweizer Dichtestress lächerlich: «Ob im Laden, bei den Behörden oder vor dem Bankomaten – man steht überall an.» Er habe sich entschleunigen müssen: «Die Entdeckung der Langsamkeit tut mir aber gut.»
Konflikte sind allgegenwärtig
Gleichzeitig seien die Menschen lebendig, dynamisch und herzlich: «Niemand ist arrogant. Man wird überall in ein Gespräch verwickelt.» Doch dies war für Karasek zuerst ein Problem, da er nur wenig Spanisch sprach. Also ging er in einen Intensivkurs an der Uni. Das Büffeln lohnte sich. Er liest mittlerweile Zeitungen und hat die Abschlussprüfung beinahe mit Bestnote bestanden: «Nur wenn jemand schnell spricht, komme ich noch nicht ganz mit.»
Er fühle sich aber gerüstet für seine Einsätze beim Internationalen Komitee vom Roten Kreuz (IKRK). Ab Januar wird er dort unter anderem als Feldreporter über die humanitären Einsätze der Organisation berichten, denn Konflikte seien in diesem Land noch allgegenwärtig, so Karasek: «So verüben etwa die FARC-Guerillas regelmässig Anschläge.»
Karasek verlor die Fassung
Überfälle gehören ebenfalls zur Tagesordnung: «Ich bin deshalb extrem wachsam geworden.» So meide er bestimmte Quartiere oder telefoniere abends nicht mit dem Handy. Passiert sei ihm bisher noch nichts.
Nur einmal hatte sein Taxifahrer einen Unfall mit einem Bus: «Ich ging raus und schrie laut herum.» Plötzlich merkte er, dass um ihn alle ganz ruhig waren: «Die Kolumbianer nehmen Probleme viel lockerer als wir.» Es sei ihm dann peinlich gewesen, dass er als Europäer dermassen die Fassung verloren habe.
«Ich vermisse die Salzstängeli von Roland»
Wie lange er in Kolumbien bleiben will, weiss er noch nicht. Bisher sei es aber eine grossartige Erfahrung, findet er: «Es ist ein tolles Gefühl, wenn man hier als Ausländer bestehen kann.» So habe er es kürzlich geschafft, sich im ganzen Behördenwirrwarr dieses Landes eine neue Identitätskarte zu besorgen: «Das erfüllte mich mit Stolz.»
Als Nächstes möchte er den Salsatanz lernen, wenn er aus der Schweiz zurückkommt. Seinen Koffer werde er mit Brillenputztüchern und Salzstängeli von Roland füllen: «Diese fehlen mir in Kolumbien – neben meinen Freunden und Brot mit einer Kruste.»