Strassenretreat: «Die erste Nacht auf der Strasse war hart»

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Strassenretreat«Die erste Nacht auf der Strasse war hart»

Elf Teilnehmer leben in Basel fünf Tage lang freiwillig auf der Strasse. In Begleitung des amerikanischen Zen-Mönchs Claude AnShin Thomas haben sie ihre erste Lektion gelernt.

Valeria Happel
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Valeria Happel
Am Samstag hat ein fünftägiges Strassenretreat in Basel unter der Leitung des amerikanischen Zen-Mönchs Claude AnShin Thomas begonnen.

Am Samstag hat ein fünftägiges Strassenretreat in Basel unter der Leitung des amerikanischen Zen-Mönchs Claude AnShin Thomas begonnen.

«Es war eine harte Nacht», sagt der US-amerikanische Zen-Mönch Claude AnShin Thomas, Leiter des am Samstag gestarteten Strassenretreats in Basel. Insgesamt fünf Tage und Nächte verbringen elf Teilnehmer aus Italien, Deutschland, der Schweiz und den USA ohne Wechselkleidung auf der Strasse. In der Nähe des St. Johann-Parks hatte die Gruppe lediglich auf Kartons und ohne Decken geschlafen. «Ich habe kein Auge zubekommen», sagt Sonja MyoZen Sterner, die bereits zum dritten Mal an einem Strassenretreat teilnimmt. «Es war jedes Mal anders. Ich habe viel gelernt und bin innerlich ruhiger geworden», sagt sie.

Lediglich ein Betrunkener habe die Gruppe in der Nacht gestört, als er sich unmittelbar neben den Teilnehmern mehrmals übergeben hatte. «Das ist eben die Strasse», erklärt Thomas. Und auch Teilnehmerin Sterner sieht es locker: «Ich habe mich nicht gefürchtet in der Nacht. Es war nur ungewohnt und kalt.»

«Die Strasse lehrt, nicht ich»

Zwei Mal am Tag, jeweils um sieben Uhr morgens und sieben Uhr abends, meditieren die Teilnehmer gemeinsam. «Sie haben damit die Möglichkeit, ihre innere Balance zu finden», sagt Thomas. Das sei wichtig für das Überleben auf der Strasse. «Doch nicht ich lehre sie, sondern die Strasse», erklärt der 67-Jährige.

Thomas selbst lebte bereits Anfang der 70er Jahre nach einem Kriegseinsatz als Kommandant einer Hubschraubermannschaft auf der Strasse. «Ich habe den Wert des Lebens entdeckt und weiss dies zu schätzen», erklärt er. In den letzten zwanzig Jahren hatte der Zen-Mönch im Rahmen von Strassenretreats in Deutschland, Spanien und in der Schweiz bereits mit hunderten Teilnehmern Zeit auf der Strasse verbracht.

Für die Teilnahme am Strassenretreat musste jeder Einzelne innerhalb von drei Monaten einen Betrag von 1080 Franken erbetteln. «Bei mir hat es über zwei Monate gedauert, bei einem anderen Teilnehmer waren es lediglich 12 Tage», sagt Sterner. Fünf Tage vor dem Retreat haben die Teilnehmer aufgehört, sich zu waschen und auch gänzlich auf Zahnpflege verzichtet. «Von Beruf bin ich Masseurin - mein Erscheinungsbild ist deshalb sehr wichtig. Das war mein erstes Problem», erklärt Sterner.

Strassenretreat stösst auf Kritik

Für Michael Steiner, Co-Leiter des Vereins für Gassenarbeit Schwarzer Peter, sind derartige Aktionen unethisch, da die Teilnehmer mit den Obdachlosen konkurrieren würden, wie die BZ berichtet. Und auch Christoph Zingg, Leiter der Sozialwerke Pfarrer Sieber, äusserte 20 Minuten gegenüber Bedenken. Zwar ist laut Zingg eine Thematisierung der Obdachlosigkeit wichtig, dennoch würde die Realität romantisiert, da die Teilnehmer danach in ihre schönen Wohnungen zurückkehren könnten.

«Wir nehmen den Obdachlosen ihren Platz nicht weg», versichert Thomas. Für ihn sei dies besonders wichtig. Auch würden die Teilnehmer nicht um Geld bitten, sondern lediglich um Essen und warme Decken. «Wir sagen nicht, dass wir obdachlos seien, sondern lediglich, dass wir zur Zeit auf der Strasse leben», erklärt Retreat-Teilnehmerin Sterner. «Alles, was wir bekommen, wird natürlich geteilt. Uns ist vor allem der Zusammenhalt sehr wichtig», sagt sie.

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