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So fern und doch so nahDie fünfte Schweiz will mitreden

Die Schweiz als Fern-Demokratie: Das Interesse der Auslandschweizer, sich an den kommenden Wahlen zu beteiligen, ist gross. Doch den Distanz-Wählern liegen Steine im Weg.

Jessica Pfister
von
Jessica Pfister
Wollen auch aus der Ferne mitbestimmen: Auslandschweizer am diesjährigen Auslandschweizer-Kongress im August in Lugano.

Wollen auch aus der Ferne mitbestimmen: Auslandschweizer am diesjährigen Auslandschweizer-Kongress im August in Lugano.

Gioia Deucher ist vor zweieinhalb Jahren nach San Francisco ausgewandert. Trotz einer Entfernung von fast 10 000 Kilometer zu ihrer früheren Heimat Zürich, wird die 31-Jährige an den kommenden Wahlen ihre Stimme abgeben. «Es ist wichtig, dass sich Auslandschweizer weiterhin aktiv politisch betätigen. Gerade auch deshalb, weil das Leben im Ausland viele neue Horinzonte eröffnet und erlaubt, gewisse Umstände in der Schweiz mit etwas mehr Abstand und Gleichgewicht zu sehen», sagt Deucher.

Die Wahlamerikanerin ist eine von über 135 000 Auslandschweizern, die sich in ihrer letzten Wohngemeinde in der Schweiz oder in ihrem Heimatort im Stimmregister registriert haben. Das entspricht einem Viertel der insgesamt 538 243 Stimm- und Wahlberechtigten im Ausland - Tendenz steigend. Ariane Rustichelli, Medienverantwortliche der Auslandschweizer-Organisation (ASO), führt das stetig wachsende Politinteresse auf zwei Faktoren zurück:«Einerseits liegt es an den neuen Kommunikationsmitteln, welche die Verbindung zwischen Auslandbürgern und ihrem Herkunftsland vereinfachen, andererseits wandern heute viele nicht mehr für immer aus, sondern nur für eine bestimmte Zeit.»

Verbundenheit zur Heimat

So ist es auch bei Daniela Wyttenbach, die seit drei Jahren in New York lebt. «Weil ich vermutlich irgendwann in die Schweiz zurückkomme, möchte ich mich an der Entscheidung, wie wir unsere Zukunft gestalten, beteiligen», sagt die 29-Jährige, die als Vermögensverwalterin bei einem Kreditinstitut arbeitet. Ausserdem fühle sie sich mit der Schweiz noch sehr verbunden, verbringe immer wieder Zeit in der Heimat und sei täglich im Kontakt mit Familie und Freunden. «Durch diesen Austausch und die Lektüre von Schweizer Zeitungen auf dem Internet weiss ich, welchen Problemen und Fragen sich die Schweiz stellen muss.» Wyttenbach wird vermutlich die FDP-Liste einwerfen, jedoch einige Kandidaten streichen und durch solche von anderen Parteien ersetzen.

Obwohl die Schweiz Auswanderer über die Geschehnisse in ihrer ursprünglichen Heimat immer besser informiert sind und sich je länger je mehr politisch für ihre alte Heimat engagieren, sind ihre Rechte beschränkt - und vor allem uneinheitlich. «Ein föderalistisches Durcheinander, dass weder demokratisch noch gerecht ist», fasst es Ariane Rustichelli von der ASO zusammen. So dürfen Auslandschweizer zwar in jedem Kanton an den Nationalratswahlen teilnehmen, die Wahl des Ständerats ist allerdings nur in den Kantonen Baselland, Bern, Freiburg, Genf, Graubünden, Jura, Neuenburg, Schwyz, Solothurn, Tessin und Zürich möglich.

TeleZüri bei den Auslandschweizer

Obwohl der Bund im vergangenen Jahr den anderen Kantonen eine Prüfung dieser Regel nahelegte, hat sich seither nichts getan. Deshalb fragt SP-Nationalrat Hans-Jürg Fehr in seiner jüngsten, noch unbeantworteten Interpellation vom September auch den Bundesrat: «Warum verweigert die Mehrzahl der Kantone den im Ausland lebenden Landsleuten noch immer das aktive Wahlrecht bei Ständeratswahlen?»

«Politiker kommen und gehen, Gesetze bleiben»

Auch Auslandschweizer André Seiler kann als Aargauer am 23. Oktober keine Ständeräte wählen. Allerdings nimmt der 33-jährige Geschäftsführer einer Reiseagentur auf der indonesischen Insel Bali sowieso nur an eidgenössischen Abstimmungen teil, nicht aber bei Nationalratswahlen. «Politiker kommen und gehen, Gesetze bleiben für länger», so die Begründung des 33-Jährigen, der seit rund acht Jahren im Ausland lebt. Ausserdem habe er schlicht keine Zeit, alle Wahlunterlagen zu studieren.

Dabei hätte Seiler gegenüber anderen Auslandschweizern dieses Jahr einen Vorteil. Denn der Aargau gehört neben Basel-Stadt, Graubünden und St. Gallen zu den vier Kantonen, in denen Auslandschweizer erstmals über das Internet ihre Stimme abgeben können. Der Rest muss nach wie vor brieflich abstimmen - obwohl zahlreiche andere Kantone erfolgreiche Tests durchgeführt haben. «Das nur so wenige Kantone beim Bundesrat ein entsprechendes Gesuch eingereicht haben, hat uns überrascht und enttäuscht», sagt Rustichelli von der ASO. Dabei sei das E-Voting die einfachste und schnellste Weise für Auslandschweizer, ihre politischen Rechte wahrzunehmen. Die ASO fordert deshalb für die nächsten Wahlen eine nationale Einführung des E-Votings.

«Stimmabgabe per Post erhöht die Hürde für Auslandschweizer»

Auch Auslandschweizerin Ariane Fischer würde wieder abstimmen, wenn dies per Mausklick möglich wäre. «Dann würde ich mich auch übers Internet einlesen und eindenken», sagt die 30-jährige Studentin, die seit einem Jahr in Brüssel lebt und zuvor schon mehrere Jahren rund um den Globus gewohnt und gearbeitet hat. So lange aber noch brieflich abgestimmt wird, konzentriere sie sich lieber auf das Geschehen in ihrer Wahlheimat Brüssel. Auch die US-Schweizerinnen Deucher und Wyttenbach würden die Einführung des E-Votings begrüssen. «Die Stimmabgabe per Post ist veraltet und erhöht die Hürde für Auslandschweizer, weiterhin abzustimmen.»

Wen wählen die Auslandschweizer?

Insgesamt weicht das Wahlverhalten der Auslandschweizer nicht stark von demjenigen der jeweiligen Kantonsbevölkerung ab. Siegerin bei den Nationalratswahlen vor vier Jahren war auch bei der Diaspora der Auslandschweizer die SVP - allerdings mit einem weniger spektakulären Resultat als im Inland. Dies lässt sich aus den Ergebnissen jener Kantone ableiten, die die Auslandschweizer-Stimmen separat ausweisen. Es sind dies Genf, Luzern und die Waadt.

Ein gesamtschweizerischer Überblick zum Abstimmungsverhalten der Auslandschweizer existiert nicht. Nur nach Auslandschweizer-Stimmen gerechnet, war die SP stärkste Partei in den Kantonen Genf und Waadt. In Luzern ging die CVP als Siegerin bei den Auslandschweizern hervor. Allerdings büsste sie gegenüber 2003 stark ein.

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