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Zum Tod von Steve LeeDie grosse Karriere in einer grossen Nische

Mit eingängigen Songs und cleverem Marketing wurde Gotthard zu einer der erfolgreichsten Schweizer Bands aller Zeiten.

Niklaus Riegg
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Niklaus Riegg

Anfang der Neunzigerjahre besetzten Gotthard die grosse Nische, die Krokus hinterlassen hatte: Die Schweiz lechzte nach eingängigem Hardrock. Und Krak, so der ursprüngliche Name der Gruppe, war bereit, ihnen diesen zu liefern. Zumindest nachdem Produzent Chris von Rohr sich nach langem hin und her der Band angenommen hatte.

Von Rohr erkannte, welches Potenzial in der Stimme von Steve Lee schlummerte – und zimmerte um diese einen eingängigen, schon damals etwas altmodischen Hardrock. Er benannte die Band um: Gotthard war geboren. Das Schweizer Major-Label Sony BMG nahm die Tessiner unter Vertrag. Das Debütalbum «Gotthard» war für Schweizer Hardrock-Verhältnisse ein Grosserfolg, landete auf Platz fünf der hiesigen Hitparade.

Steve Lees letzter Auftritt

Die Anfänge

Doch die Schweiz war Gotthard nie genug: Schon im Anfangsstadium ihrer Karriere versuchten sie auch, das Ausland zu erobern und tourten mit den damals schon nicht mehr besonders angesagten Hardrock-Bands Magnum und Victory durch Grossbritannien und Europa.

Dies in einer Zeit, als Hardrock eigentlich alles andere als angesagt war: Grunge war auf dem Weg zum Höhepunkt, die Hip-Hop-Gemeinde wuchs rasant. Männer mit langen Haaren in Lederhosen waren ein Relikt der Achzigerjahre, doch Hardrock hatte immer noch seine Fans. Und diese grosse Gemeinde wollte bespielt werden. Sie lechtzte nach neuen Gesichtern, jedoch nicht unbedingt nach neuen Sounds. Von Rohr und Lee waren sich dessen durchaus bewusst: Falls es in Zukunft stilistische Veränderungen geben sollte, dann nur sanfte.

«Dial Hard» und die Folgen

Mit dem Überhit «Mountain Mama» kam 1993 der endgültige Durchbruch, die Schweiz hatte neue Superstars. Jedes Schulkind und jede Hausfrau kannte den Song. Das dazugehörige Album «Dial Hard» war das erste, welches auf Platz eins der hiesigen Charts landete – wie seitdem jedes andere Gotthard-Album. Das folgende Album «G.» gilt unter den Fans der ersten Stunde bis heute als ihr bestes – es war für lange Zeit das letzte harte Gotthard-Album: Die Tessiner wollten ihre Fangemeinde erweitern – von den Hardrockkids in Richtung des gesetzteren Radiopublikums.

«Unplugged»

Im Jahr 1997 wurde «D-Frosted» veröffentlicht, ein Unplugged-Album. Auch hier waren Gotthard keine Trendsetter - MTV prägte den Begriff bereits Ende der Achzigerjahre. Doch der Erfolg gab den Tessinern einmal mehr recht: Die Platte erreichte Platin-Status. Und um ihr neu gewonnenes Publikum nicht zu verprellen, passten die Hardrocker ihren Sound an. Aus der Hardrockband wurde eine radiotaugliche Adult-Rock-Band. Mit dem neuen Sound erreichte Gotthard nie da gewesene Höhen – doch der von Chris von Rohr geprägte Sound behagte den Bandmitgliedern je länger, desto weniger.

Trennung von Chris von Rohr

Anfang des neuen Jahrtausends kam es zu einschneidenden Veränderungen in der immer noch vor allem von Lees kräftiger Stimme getragenen Band. Gitarrist Mandy Meyer und Produzent Chris von Rohr (beide Ex-Krokus) verliessen Gotthard. Die gerne zitierte Begründung «wegen unterschiedlichen musikalischen Auffassungen» schien ausnahmsweise zu stimmen. Die Band wollte weg vom kommerziell erfolgreichen Rock, von Rohr sah nur darin eine grosse internationale Zukunft für die Band. Denn auch wenn Gotthard in der Schweiz längst zum Inventar gehörten – im Ausland konnten sie abgesehen von ein paar Achtungserfolgen in Deutschland, Japan und Russland nie richtig Fuss fassen.

Die neue Härte

Nach der Trennung von Ziehvater von Rohr besannen sich Gotthard auf ihren alten Sound zurück. Dieser war 20 Jahre nach dem Höhepunkt der Hardrockwelle altbackener denn je – für Gotthard aber trotzdem der richtige Sound. Und auch für ihre alte Fangemeinde. Bis zum Tod von Steve Lee waren Gotthard die hierzulande kommerziell erfolgreichste Schweizer Rockband (international hatten Krokus weitaus mehr Platten verkauft).

Soloalbum

Lee plante, nächstes Jahr ein Solo-Album herauszubringen. Nach 19 Jahren als Songschreiber habe er einige Songs beisammen, die nicht zu Gotthard passen, begründete er seine Solopläne gegenüber der «Berner Zeitung».

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