Einseitige Bildung: «Die Jugendlichen verblöden»

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Einseitige Bildung«Die Jugendlichen verblöden»

Forscher Bernhard Heinzlmaier provoziert: Jugendliche sind in Europa auf dem besten Weg in die komplette Verblödung. Für die Schweiz hat er aber noch Hoffnung.

Andreas Bättig
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Andreas Bättig
Soziale Netzwerke wie Facebook dienen in erster Linie der Selbstinszenierung. Es geht um die Ökonomie der Aufmerksamkeit, sagt Jugendforscher Bernhard Heinzlmaier.

Soziale Netzwerke wie Facebook dienen in erster Linie der Selbstinszenierung. Es geht um die Ökonomie der Aufmerksamkeit, sagt Jugendforscher Bernhard Heinzlmaier.

Sie schreiben in Ihrem neuen Buch*, Jugendliche seien verblödet und Egoisten. Was meinen Sie damit?

Bernhard Heinzlmaier: Sie haben keinen Gemeinsinn mehr. Ihnen ist jedes Mittel recht, um ihre egoistischen Bedürfnisse zu befriedigen. An den Mitmenschen denken sie wenig. Er wird primär als Konkurrent wahrgenommen. Ihr persönlicher Nutzen steht im Zentrum. Mit Verblödung meine ich, dass sie nur noch technisch und naturwissenschaftlich ausgebildet werden. Sie werden zu einseitigen Experten ohne Bildung gemacht, die in erster Linie dazu da sein sollen, der Wirtschaft und ihren Profitinteressen zu dienen. Kulturelle und humanistische Werte bleiben auf der Strecke. Sie haben keine Ahnung mehr, wer Schubert war, wann der Zweite Weltkrieg begann usw.

Solche Dinge können Junge doch schnell mit dem Handy googeln.

Aber dieses Wissen bleibt so nur oberflächlich. Es ist kein lebendiges Wissen, mit dem aktiv und kreativ gearbeitet werden kann, weil es nicht im Kopf der Menschen ist, sondern ausserhalb bleibt, in einer Datenbank.

Dank dem Internet ist das Wissen der Jugend heute aber so gross wie nie.

Das Internet ist eine Volksverblödungs-Maschine und kein Bildungsmedium. Es ist ein Sammelsurium von wild zusammengewürfelten Informationen. Und es regt nicht zur Selbstbildung an, sondern zur Selbstunterhaltung.

Aber wir leben in der Zeit der sozialen Netzwerke. Facebook oder Twitter verbindet die Menschen doch?

Facebook dient in erster Linie der Selbstinszenierung. Es geht um die Ökonomie der Aufmerksamkeit. Seiten wie Facebook haben dazu geführt, dass sich Menschen mit den gleichen Interessen verbinden. Sie isolieren sich von anderen Gruppen. Es findet kein Austausch zwischen den verschiedenen sozialen Schichten und kulturellen Milieus mehr statt.

Sie kritisieren auch die Wirtschaft und den Konsum. Was ist daran so schlecht?

Alles wird dem neoliberalen Markt unterworfen. Das persönliche Glück wird über den Erwerb von Statussymbolen definiert. Wenn man den Menschen all die Konsumgüter wegnehmen würde, wäre ihr Leben ziemlich leer. Dabei ist es eben nicht die Ökonomie, die glücklich macht, sondern die Kultur.

Welche Folgen hat das auf die Jugendlichen?

Sie werden zu Karrieristen und verblöden zunehmend. Sie schmieden mit 14, 15 schon Zukunftspläne, die sie auf Gedeih und Verderb umzusetzen versuchen, auch wenn sich diese gegen ihre eigenen, ganz persönlichen Träume, Wünsche und Bedürfnisse richten.

Wer trägt denn die Verantwortung?

Das ist sehr komplex. Die Politik, die Bildungsinstitutionen, der Markt, die Ökonomisierung des Denkens. Am Ende wird heute in vielen Schulen primär neoliberales egozentrisches Denken gelehrt, das für die Wirtschaft verwertbar ist. Denn der Egozentriker ist ein perfekter Konsument. Er braucht jeden Tag neue Statusprodukte, um sich der Gesellschaft als etwas Besonderes und Einzigartiges immer wieder von Neuem aufzudrängen zu können.

Das klingt düster. Haben die Jugendlichen keine Ideale mehr?

Klar, aber die falschen. Es zählt nur noch individuelle Ziele und Selbstinszenierung. Das eigene Ego ist die heilige Kuh. Die Gemeinschaft, das grosse Ganze einer Wertegemeinschaft, haben sie nicht mehr im Blick.

Was müsste sich denn ändern?

Dafür ist es zu spät. Die Gesellschaft ist verloren. Wir sind alle schon zu sehr «brainwashed». Wir düsen mit Hochgeschwindigkeit durchs Leben ohne Reflexion. Der einzige Ansatz, der mir sinnvoll erscheint, ist der Rückzug aus der Gesellschaft, für alle jene, die zur Besinnung kommen. Man kann ein erfülltes, menschengerechtes, sinnerfülltes Leben nur mehr ausserhalb dieser Gesellschaft führen, in alternativen Wohn- und Wirtschaftsprojekten, mit eigenen alternative Kindergärten und alternative Schulen. Was in der Gesellschaft nicht mehr möglich ist, sollte man in kleinen Gemeinschaften ausserhalb dieser Gesellschaft versuchen. Das wäre mein Rat vor allem für die Jugend.

Gibt es Unterschiede zwischen den verschiedenen Ländern? Wie verblödet sind Jugendliche zum Beispiel in der Schweiz?

Natürlich ist die Schweiz auch von der Ökonomisierung der Kultur, ja des ganzen Lebens betroffen. Aber ich glaube, dass die Schweizer kultivierter sind als andere Bürger in Europa. Hier gibt es ein grosses Traditionsbewusstsein. Humanistische Werte spielen eine grössere Rolle in der Bildung als anderswo. Ich glaube, in der Schweiz leben die Menschen noch in und mit einer gemeinsamen Geschichte. Sie wissen, wo sie herkommen und haben ein gemeinsames Ziel, wohin sie gehen möchten. Und das, obwohl die Schweiz multikultureller ist als andere vergleichbare Länder.

*Bernhard Heinzlmaier: Performer, Styler, Egoisten. Über eine Jugend, der die Alten die Ideale abgewöhnt haben. Berlin, 2013, 196 Seiten. Verlag: Archiv der Jugendkulturen

Bernhard Heinzlmaier (53) ist seit über zwei Jahrzehnten in der Jugendforschung tätig. Der Österreicher ist Mitbegründer des Instituts für Jugendkulturforschung und seit 2003 ehrenamtlicher Vorsitzender. Hauptberuflich leitet er das Marktforschungsinstitut tfactory in Hamburg.

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