Suchtkranke Eltern«Kinder fühlen sich oft schuldig und übernehmen häufig auch Elternrolle»
Wachsen Kinder mit einem suchtkranken Elternteil auf, kann das weitreichende Folgen bis ins Erwachsenenleben haben. Im Interview spricht Markus Meury von Sucht Schweiz über die Problematik und zeigt auf, wie man bei Verdachtsfällen vorgehen kann.

- von
- Anja Zingg
Sabi wuchs mit einem alkoholsüchtigen Vater auf.
Darum gehts
Kinder von Eltern mit einem Suchtproblem erhielten laut einem Experten nicht flächendeckend Unterstützung.
Betroffene Kinder spürten die Folgen ihrer Kindheit teilweise bis ins Erwachsenenleben. So erging es auch Sabi.
Sie erzählt im Video oben, wie sie mit einem alkoholsüchtigen Vater aufwuchs.
Wachsen Kinder in suchtbelasteten Familien auf, kann sie das ein Leben lang prägen. Betroffene wie Sabi (Video oben) müssen teilweise die Elternrolle übernehmen. Fachgruppen betonen, dass Kinder das Verhalten ihrer Eltern oftmals nachahmen. Markus Meury von Sucht Schweiz erklärt im Interview, wieso Fachstellen stärker sensibilisiert werden müssen.
Herr Meury, wie viele Kinder leben mit suchtkranken Eltern?
In der Schweiz wachsen schätzungsweise 100’000 Kinder in einem Elternhaus auf, das von Alkohol oder anderen Substanzen schwer belastet ist. Dazu zählen zum Beispiel auch Familien mit starken Rauschtrinkern, die ihre Kinder gefährden können.
Was macht dieses Aufwachsen mit Kindern?
Viele von ihnen leben in einer ständigen Angst, da die Eltern unberechenbar und gewalttätig sein können. Die Kinder fühlen sich oft schuldig und übernehmen häufig auch die Elternrolle: Sie kochen, kümmern sich um den Haushalt, kaufen ein. Und obwohl sie das überfordert, sind sie den Eltern gegenüber extrem loyal. Ausserdem zeigt die Forschung, dass diese Kinder eine sechsmal höhere Chance haben, später selber süchtig zu werden.
Wird genug getan für diese Kinder?
Nein. Vieles hat sich in den letzten Jahren verbessert, dennoch gibt es derzeit kein flächendeckendes Angebot für diese Kinder. Es gibt sehr viele Angebote für suchtkranke Eltern, aber die Kinder gehen zum Teil vergessen. Wir sehen da auch in der Politik Handlungsbedarf.
Was fordert Sucht Schweiz konkret?
Die flächendeckende Integration des Themas in die sozialen Angebote und die Ausbildung und die entsprechenden finanziellen Mittel, damit man auf die Bedürfnisse der betroffenen Kinder eingehen und diesen helfen kann.
Was kann man als aussenstehende Person für Kinder tun, wenn man das Gefühl hat, in einer Familie gibt es ein Suchtproblem?
Es kommt natürlich darauf an, wie nah man der Familie steht. Als Gotti oder Götti kann man sicher direkt mit dem Kind sprechen. Signalisieren, dass man eine Vertrauensperson ist. Steht man dem Kind nicht nahe, kann man auf die Eltern zugehen und anbieten, sie zu entlasten, ohne die Eltern auf eine mögliche Sucht anzusprechen. Man kann zum Beispiel dem Kind Nachhilfe geben oder es ab und zu auf einen Ausflug mitnehmen und so Vertrauen aufbauen.
Ab wann sollte man sich als aussenstehende Person an Fachstellen wenden?
Man kann sich jederzeit Rat holen, es gibt auch eine Broschüre von Sucht Schweiz zu diesem Thema. Hat man das Gefühl, das Kind ist gefährdet, sollte eine Behörde informiert werden. Wichtig ist zu wissen: Auch wenn Behörden eingeschaltet werden, wird das Kind nicht automatisch fremdplatziert. Dies passiert in den wenigsten Fällen und ist die letzte aller Möglichkeiten.
Hast du oder hat jemand, den du kennst, Probleme mit Alkohol?
Hier findest du Hilfe:
Blaues Kreuz Schweiz, Beratungsstellen
Safezone.ch, anonyme Onlineberatung bei Suchtfragen
Anonyme Alkoholiker, Tel. 0848 848 885
Feel-ok, Informationen für Jugendliche
My Drink Control, Selbsttest
Vergiftungsnotfälle, Tel. 145
Kinderseele Schweiz, Beratung für psychisch belastete Eltern und ihre Angehörigen
Hast du Probleme mit deinen Eltern oder Kindern?
Hier findest du Hilfe:
Pro Juventute, Beratung für Kinder und Jugendliche, Tel. 147
Elternberatung, Tel. 058 261 61 61
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