SDA: Die Macht des Monopols

Aktualisiert

SDADie Macht des Monopols

Seit knapp drei Monaten gibt es in der Schweiz nur noch eine Nachrichtenagentur. Zeit für ein erstes Fazit. Es fällt alarmierend aus.

Ronny Nicolussi
von
Ronny Nicolussi
Langsamer, weniger, qualitativ schlechter: SDA-Redaktion in Bern

Langsamer, weniger, qualitativ schlechter: SDA-Redaktion in Bern

Nachrichtenagenturen sind das Rückgrat der Medien. Ihr tägliches Brot ist es, Radiostationen, Fernsehsender, Zeitungen, Online-Medien und institutionelle Kunden wie Verwaltungen oder Banken rasch und korrekt mit den neusten Nachrichten zu beliefern. Garant für die Qualität dieser Dienste ist normalerweise eine gesunde Konkurrenz. Im Wettbewerb unter den Agenturen zählt jede Sekunde. Nicht so in der Schweiz.

Seit dem vergangenen 28. März ist der Schweizer Agenturenmarkt ein Sonderfall. Es gibt keine Konkurrenz mehr. Die Schweizerische Depeschenagentur (SDA) hat die Konkurrenz mit einem geschickten Winkelzug vom Markt gekauft. Seither gibt es keinen direkten Vergleich mehr. Redaktionen können nicht mehr die schnellere, die informativere oder die besser geschriebene Nachricht wählen. Gedruckt, vorgelesen oder aufgeschaltet werden zu Inlandthemen, wenn nicht Eigenberichte, ausschliesslich Meldungen der SDA.

Diese hatte seit jeher den Ruf, behäbig zu sein. Seit sie sich nicht mehr dem Wettbewerb stellen müsse, sei es noch schlimmer geworden, berichten Journalisten, die täglich mit ihr zu tun haben. Grosse Unzufriedenheit herrscht etwa in der Redaktion des «Tages-Anzeigers». Die beiden Nachrichtenchefs, der Inlandchef und die Wirtschaftschefin haben in den letzten Monaten «einen massiven Leistungsabfall bei Tempo und Qualität festgestellt». Sie halten fest: «Vielleicht war die Qualität schon früher nicht so toll, aber das hat man dank der Konkurrenz durch AP nicht so gemerkt.»

Sämtliche Fehlleistungen werden gesammelt

Auf eine öffentliche Kommentierung der Qualität der Neomonopolistin verzichten will Diego Yanez, Nachrichtenchef des Schweizer Fernsehens. Er sagt lediglich: «Wir beobachten die Entwicklung der SDA sehr genau.» Was das bedeutet, verraten interne Quellen, die ungenannt bleiben möchten: «Im Moment werden sämtliche Fehlleistungen der SDA gesammelt. Und das sind nicht wenige.» Hart mit der SDA ins Gericht geht Alain Bichsel, Sprecher der Eidgenössischen Finanzmarktaufsicht Finma. Die meisten SDA-Journalisten hätten wenig bis gar keine Kenntnis über die Themen der Finma. «Das bedingt, dass wir oft reines ‹Schulfernsehen› betreiben müssen. Was mühsam ist und in den meisten Fällen eine fachliche Auseinandersetzung ausschliesst», sagt Bichsel. Auch habe die Finma bereits Falschmeldungen der SDA korrigieren müssen, was bei der AP nie der Fall gewesen sei.

Die AP zurück wünscht man sich auch beim Radio. «Radio 1»-Chefredaktor Iwan Santoro spürt klar, dass es die SDA-Konkurrentin nicht mehr gibt: «Aufmachung und Gewichtung der AP waren deutlich anders als bei der SDA, besonders bei der Berichterstattung aus Bundesbern.» Das Schweizer Radio DRS spürt die Abwesenheit der SDA-Konkurrenz bei «eigenen Themen, die AP immer wieder gesetzt hat», sagt der stellvertretende Chefredaktor Peter Bertschi.

Deutlich weniger Meldungen

Neben dem Leistungsabfall bei Geschwindigkeit und Qualität, herrsche der subjektive Eindruck, dass am Wochenende weniger Meldungen geschrieben würden als früher, heisst es zudem in der «Tages-Anzeiger»-Redaktion. Ein Blick auf die Zahlen der Schweizer Mediendatenbank (SMD) belegt diesen Eindruck. Die SDA versendete an den letzten sechs Samstagen (Sonntage sind wegen Abstimmungen und Wahlen schlechter miteinander vergleichbar) zwischen 72 und 100 Meldungen, durchschnittlich 83. Im Vorjahr hatte die SDA in den gleichen sechs Wochen Samstags noch zwischen 101 und 141 Meldungen versendet, im Durchschnitt 118. Das bedeutet einen Rückgang um fast einen Drittel. Ähnlich sieht die Situation auch im Vergleich zu den Vorjahresmonaten aus, wenn man sämtliche Meldungen zählt, die im März, April und Mai über den SDA-Ticker liefen. Jeden Monat waren es über 1200 Meldungen weniger. Durchschnittlich versendete die SDA heuer monatlich von März bis Mai 6405 Meldungen – im Vorjahr waren es 7640 Meldungen. Damit erhielten die Kunden 2010 für das gleiche Geld rund einen Sechstel weniger Meldungen.

Diese Zahlen könne er nicht bestätigen, sagt SDA-Chefredaktor Bernard Maissen. Sie seien nicht verlässlich. Als Vergleich nimmt er die Anzahl Meldungen des Dienstes «sda-basic» – laut Maissen der einzige Dienst, «zu dem AP eine Konkurrenz dargestellt hat». In derselben Zeitspanne kommt er heuer auf monatlich 4972 Meldungen, im Vorjahr auf 5064 Meldungen*. Auch die Ansicht, die SDA sei qualitativ schlechter geworden, lässt der SDA-Chefredaktor nicht gelten. Bei einer breit abgestützten Kundenumfrage im April habe die SDA gute bis sehr gute Noten erhalten. «Die Zahl der Berichtigungen ist sogar leicht zurückgegangen», so Maissen. Fraglich bleibt, weshalb im Vergleich mit der Vorjahresperiode lediglich der Basisdienst und nicht die Gesamtheit aller Meldungen zählen soll. Bei der SMD heisst es im Übrigen, sämtliche Agentur-Meldungen würden zuverlässig archiviert.

Exklusivrabatt gilt plötzlich nicht mehr

Zurückgegangen ist jedenfalls auch das Preis-Leistungs-Verhältnis, das die SDA bei neuen Verträgen anbietet. Um die AP aus dem Schweizer Markt zu verdrängen, hatte die SDA bis zuletzt mit einem 20-Prozent-Rabatt für Exklusivkunden geworben. Als das nicht zum Ziel führte, schloss die Depeschenagentur Ende Januar einen Vertrag mit den neuen Eignern der AP (zwei Finanzinvestoren aus Deutschland) ab, mit dem einzigen Ziel, «die Aktivitäten von AP Schweiz auf den frühstmöglichen Zeitpunkt einzustellen». Ende März wurde das Ziel erreicht. Seither will die SDA nichts mehr von einem Exklusivrabatt wissen. SDA-Chefredaktor Maissen wollte sich dazu nicht äussern.

Diese Praktiken nimmt nun die Wettbewerbskommission (WEKO) genau unter die Lupe. Im Rahmen einer Marktbeobachtung würden derzeit die betroffenen Parteien befragt, sagt WEKO-Vizedirektorin Carole Söhner-Bührer. In den kommenden Wochen will die WEKO entscheiden, ob sie ein formelles Verfahren gegen die SDA eröffnen will. Spannend könnte dabei die Frage werden, ob es zulässig ist, dass eine Zeitung den SDA-Dienst lediglich für die Online-Ausgabe abonniert. Laut informierten Kreisen soll die Monopolistin die Kunden neuerdings vor die Wahl stellen, entweder Online und Print oder gar nichts. Maissen wiederum sagt, das sei «völliger Blödsinn». Vielmehr gewähre die SDA den Kunden, die auch den Basisdienst abonniert hätten, einen Rabatt.

Stimmt das, bedeutet es gleichwohl, dass Kunden, die die SDA lediglich für die Online-Ausgabe abonnieren, für diesen Dienst mehr bezahlen müssen. Juristisch bewegt sich die SDA damit auf dünnem Eis. Vor Jahren ergab sich bereits eine vergleichbare Situation. Die SDA hatte vom «Walliser Boten», der lediglich die SDA-Tochter Sportinformation (SI) abonniert hatte, mehr Geld gefordert als von Kunden, die daneben auch SDA-Meldungen bezogen. Die Depeschenagentur scheiterte damals jedoch mit ihren Forderungen.

Anmerkung: 20-Minuten-Online-Redaktor Ronny Nicolussi arbeitete früher selbst zwei Jahre für AP Schweiz.

* SDA-Chefredaktor Bernard Maissen legte am 22. August Wert auf folgende Präzisierung: «Die SMD zählte im Jahr 2009 noch alle Übersichten, Auftakt-Meldungen und erste Fassungen. 2010 ist die Datenbank um diese Meldungen bereinigt. Die einzig aussagekräftige Zahl liefert das Archiv sda-direct.»

Kurioser Verzicht auf Kapitalerhöhung

Offene Fragen hinterliess kürzlich die Notiz, welche die SDA in ihrer Jahresergebnismeldung versteckte: Aufgrund solider Bilanzzahlen werde auf die Anfang Jahr ins Auge gefasste Kapitalerhöhung verzichtet. Als Grund gab die Depeschenagentur zudem an, bei Bedarf könne sich die SDA derzeit auf dem Geld- und Kapitalmarkt günstig refinanzieren. Auf die Verfünffachung des Kapitals (von zwei auf zehn Millionen Franken) wird aber wohl kaum nur deswegen verzichtet. Zumal es schon im Januar günstige Refinanzierungskonditionen gab. Mehr Informationen dazu könnte es an der heutigen Generalversammlung geben. SDA-Chefredaktor Maissen will jedenfalls nichts von Meinungsverschiedenheiten unter den SDA-Aktionären wissen. «Von den Grossaktionären hätten alle der Kapitalerhöhung zugestimmt», so Maissen. Die Kapitalerhöhung sei im Übrigen auch nicht abgesagt worden, sondern werde lediglich im Moment nicht durchgeführt.

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