US-Anwalt im Interview: «Die Schlinge um Blatters Hals zog sich zusammen»

Aktualisiert

US-Anwalt im Interview«Die Schlinge um Blatters Hals zog sich zusammen»

Der Fifa-Boss muss gemerkt haben, dass sich die Schlinge um seinen Hals zusammenzog, glaubt der Rechtsanwalt David Weinstein aus Miami.

Martin Suter
New York
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Martin Suter
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Knall bei der Fifa! Am 2. Juni 2015 gibt Sepp Blatter anlässlich einer kurzfristig einberufenen Pressekonferenz seinen Rücktritt bekannt.

Knall bei der Fifa! Am 2. Juni 2015 gibt Sepp Blatter anlässlich einer kurzfristig einberufenen Pressekonferenz seinen Rücktritt bekannt.

Keystone/Steffen Schmidt
Der 79-jährige Walliser wird sein Amt niederlegen, sobald ein Nachfolger bestimmt worden ist. Dieser soll an einem ausserordentlichen, vom Exekutivkomitee einberufenen Kongress gewählt werden.

Der 79-jährige Walliser wird sein Amt niederlegen, sobald ein Nachfolger bestimmt worden ist. Dieser soll an einem ausserordentlichen, vom Exekutivkomitee einberufenen Kongress gewählt werden.

AFP/Valeriano di Domenico
Er habe zwar ein Mandat von den Fifa-Mitgliedern erhalten, spüre allerdings nicht die Unterstützung der gesamten Fussball-Welt. Er fühle sich verpflichtet, seine Präsidentschaft zur Verfügung zu stellen.

Er habe zwar ein Mandat von den Fifa-Mitgliedern erhalten, spüre allerdings nicht die Unterstützung der gesamten Fussball-Welt. Er fühle sich verpflichtet, seine Präsidentschaft zur Verfügung zu stellen.

epa/Ennio Leanza

In den Augen amerikanischer Fachleute deutet der Rücktritt des eben wiedergewählten Fifa-Präsidenten Sepp Blatter darauf hin, dass die Untersuchung gegen Korruption in der Fifa rasch voranschreitet. Als früherer Staatsanwalt in Miami weiss der Rechtsanwalt David Feinstein, wie solche Ermittlungen funktionieren. Im Interview mit 20 Minuten sagt er, eine spätere Ergreifung Blatters würde ihn nicht erstaunen.

Herr Weinstein, in welchem Mass hat Sie der Rücktritt von Sepp Blatter überrascht?

Vor dem Hintergrund seiner öffentlich demonstrierten Arroganz war ich ziemlich überrascht. Doch scheinen Entwicklungen der letzten Tage bei Blatter den Eindruck erweckt zu haben, dass sich die Schlinge um seinen Hals zusammenzog.

Was hat ihn wohl zu seinem Entscheid bewogen?

Ich glaube, er machte einen «Reality Check». Er setzte sich mit seinen Beratern zusammen, welche die 164 Seiten umfassende Anklageschrift studiert hatten. Zwischen Mittwoch und Freitag letzter Woche hatte er kaum Gelegenheit gehabt, dieses Dokument und jene über die geständigen Mitverschwörer genauer anzusehen. Zudem tauchte der einzige amerikanische Angeklagte, Aaron Davidson, erst am Freitag auf, nach Blatters Wiederwahl.

Am Montag wurde der Fifa-Generalsekretär Jérôme Valcke als jene Person identifiziert, die eine Bezahlung von zehn Millionen Dollar an den Angeklagten Jack Warner organisiert hatte. Welche Rolle könnte die namentliche Nennung seines höchsten Leutnants für Blatter gespielt haben?

Es war ein wichtiger weiterer Baustein im Puzzle der Fifa-Untersuchung. Nun wusste Blatter, wer die Personen sind, die am ehesten mit den Ermittlern gegen ihn kooperieren werden.

Valcke könnte für Blatter womöglich gefährlich werden?

Ja. Wenn er sich selbst helfen will, muss er Informationen über alles liefern, was er weiss und was er getan hat. Falls er Kenntnis davon hat, wie viel Blatter über die Vorgänge in der Fifa wusste, wird er zu einem wertvollen Zeugen der Anklage.

Kann sich Blatter nach seinem Rücktritt jetzt besser gegen eine mögliche Anklage schützen als vorher?

Er wird weniger mehr reisen müssen - besonders nicht in Länder, wo er von der US-Justiz ergriffen werden könnte. Er kann sich jetzt von allem distanzieren, was die Fifa unternimmt, um den Sumpf auszutrocknen. Er muss auch nicht mehr selbst die Reformen durchführen.

Halten Sie es für möglich, dass die US-Staatsanwälte ein geheimes Anklagepapier besitzen, das ihnen die Verhaftung von Blatter erlaubt, falls er amerikanischen Boden betritt?

Das ist klar eine Möglichkeit. Falls keine Anklageschrift, dann vielleicht eine Strafklage als Grundlage für einen möglichen Haftbefehl.

Was haben die Ermittler zwischen letzten Mittwoch und heute unternommen?

Es ist möglich, dass sie Vorladungen oder Dokumentanforderungen an gewisse Banken verschickt haben. Es könnte sein, dass die Banken via US-basierte Korrespondenzbanken diese Information an Blatter weitergegeben haben.

Dann könnte Blatter konkrete Hinweise darauf erhalten haben, dass seine Position immer weniger haltbar wird?

Genau.

Die «New York Times» erzählt, dass Valcke von Blatter zum Generalsekretär berufen wurde, obwohl er 2006 von einem Richter in New York als Lügner überführt worden war. Ist das nicht bemerkenswert?

Es ist interessant, denn es zeigt, dass sich Blatter mit Leuten umgab, die gewisse Grenzen überschritten und ihm gefährlich werden konnten.

Tat er das vielleicht gerade deshalb, um das Risiko kontrollieren zu können?

Es gibt den alten Satz, dass man nahe bei seinen Freunden sein soll, aber noch näher bei seinen Feinden. Das könnte sehr wohl ein Grund gewesen sein.

Welche nächsten Schritte der US-Ermittler erwarten Sie?

Falls sie die Verhaftung Sepp Blatters wegen Verbrechen gegen die USA planen, dann werden die Staatsanwälte neue Zeugen und Dokumente jener «Grand Jury»-Anklagekammer vorlegen, die bereits 14 Beschuldigte angeklagt hat. Sie werden einen Zusatz zur Anklageschrift fordern, der Blatter einschliesst.

Gibt es neues Beweismaterial?

Man hat im Hauptquartier von Concacaf in Miami Beach einen Schatz von Dokumenten bergen können. Womöglich werden die Ermittler Banken unter Druck setzen und von anderen Staaten Rechtshilfe erbitten. Am Ende haben sie vielleicht genug Material, Blatters Auslieferung an die USA zu verlangen.

Würde es Sie erstaunen, wenn Sepp Blatter irgendwann auf amerikanisches Geheiss festgenommen werden sollte?

Überhaupt nicht.

David Weinstein war während elf Jahren Staatsanwalt im Büro Südflorida des US-Justizdepartements. Dabei eignete er sich Kenntnisse im Kampf gegen Wirtschaftsverbrechen wie Korruption an. Seit 2011 ist er Partner in der Anwaltskanzlei Clarke Silverglate in Miami.

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