Matthias Sempach: Die Wandlung zum Terminator

Aktualisiert

Matthias SempachDie Wandlung zum Terminator

Matthias Sempach (27) siegt auf dem Brünig. Mit diesem Auftritt macht sich der Berner zum Kronfavorit für das Eidgenössische.

von
Klaus Zaugg

Ein Sieg auf dem Brünig bedeutet im Hinblick aufs Eidgenössische wenig. Harry Knüsel war 1986 der letzte Brünig-Sieger, der dann im gleichen Jahr auch König wurde. Eugen Hasler gewann 1992 und 1995 auf dem Brünig und wurde anschliessend doch nicht König. So gesehen hat die mässige Vorstellung von König Kilian Wenger auf dem Brünig wenig zu bedeuten. Er kam gerade noch auf den 7. und letzten Kranzrang. Die Chancen auf den Schlussgang vergab er im 4. Gang durch eine Niederlage gegen den zähen Nidwaldner Bauern Marcel Mathis: Mächtig wie ein Sturmwind brauste der Jubel der Innerschweizer durch die Arena, als Mathis den wuchtigen Kurzangriff des Königs mit einem majestätischen Gammen konterte und mit Maximalnote vollendete. Aber weil er den zweiten Gang gegen Matthias Sempach verloren hatte, reichte es nicht für den Schlussgang.

Wir sehen also: Der Brünig-Festsieg 2013 alleine macht Matthias Sempach noch lange nicht zum Königsfavoriten für Burgdorf (31. August/1. September). Aber die Art und Weise, wie er triumphiert hat.

Sempachs Waffe ist die Vielseitigkeit

Theoretisch ist der Berner sowieso die klare Nummer 1 der «Weltrangliste»: Er hat nun 2013 vier Kranzfeste gewonnen. Mehr als jeder andere «Böse». Kein anderer ist technisch so vielseitig, auch nicht König Kilian Wenger. Matthias Sempach kann die Entscheidung in den Griffen aus dem Stand heraus herbeiführen oder im zähen «Bodenkampf» erzwingen. Mit einer Grösse von 194 Zentimetern und einem Gewicht von 108 Kilo hat er die perfekte Schwingerpostur. Mit 27 (geb. 10.04.1986) steht er im Zenit seiner Laufbahn.

Und doch ist Matthias Sempach noch nicht König. Noch immer schwebt er im Niemandsland zwischen Walter Blatter und Jörg Abderhalden. Wir müssen etwas ausholen, um zu erklären, was damit gemeint ist. Walter Blatter (Jahrgang 1948), mit Fussball-Sonnenkönig Sepp Blatter nicht verwandt, war in den 1970er und frühen 1980er Jahren so etwas wie ein Matthias Sempach des 20. Jahrhunderts. Der Emmentaler war ein unerhört spektakulärer Angriffsschwinger. Rein technisch auf königlichem Niveau. Aber er scheiterte beim Griff nach der Krone. Weil er mental zerbrechlich war wie Porzellan.

Jörg Abderhalden, der König von 1998, 2004 und 2007, steht auf der Skala der mentalen Stärke am anderen Ende. Ein Kannibale. Er gewann, wenn er wollte. Er war darin noch besser als sein Götti Dr. Ernst Schläpfer. In der ganzen Schwingergeschichte hat es bis heute nur einen mental noch stärkeren Bösen gegeben als Abderhalden: Rudolf Hunsperger, der König von 1966, 1969 und 1974.

Wie steht es um Sempachs mentale Stärke

Am Sonntag stand Matthias Sempach bei seinem Brünig-Triumph auf unserer Skala des mentalen Granits auf der Höhe von Jörg Abderhalden. Schwingerisch sowieso ohne Fehl und Tadel. Sechs Siege, vier davon mit der Maximalnote 10,00. Aber schwingerisch war er schon vor Frauenfeld 2010 in lichten Momenten so gut. Gut genug jedenfalls für den Königstitel. Aber eine sensationelle Niederlage (durch Schlungg) gegen Michael Bless brachte ihn 2010 um alle Chancen auf den Königsthron. Er scheiterte als einer der Favoriten. Weil auf der Skala der mentalen Urkraft ganz nahe an Walter Blatter und weit weg von Jörg Abderhalden.

Aber am Sonntag kam auf dem Brünig zur schwingerischen Klasse noch etwas dazu: Matthias Sempach imponierte mit der Körpersprache des Siegers, eines Königs. Um es poppig zu sagen: Er hat sich vom mental zerbrechlichen Schillerfalter zum Terminator entwickelt. Er strahlte auf dem Brünig so stark wie vielleicht noch nie die majestätischen Gelassenheit der ganz grossen Sägemehl-Champions aus: In der Art, wie er den Platz betritt, dem Gegner die Hand reicht und wie er dann den Kampf kontrolliert. Keine Sekunde hat er Zweifel aufkommen lassen, wer der Herr der (Sägemehl)-Ringe ist, unaufhaltsam wie Terminator Arnold Schwarzenegger ging er seinen Weg bis zum Sieg. Ein Alphatier vom Scheitel bis zur Sohle.

Der «Böse» ist mit sich im Reinen

Nach dem Triumph im Schlussgang gegen Florian Gnägi (er konterte einen Kreuzgriff mit Fussstich) holt er vor den Interviews erst die Baseball-Mütze mit den Sponsorenaufschriften. Auf alle Fragen antwortet er so ruhig und unaufgeregt und politisch korrekt, als sei er in einem Medien-Kurs gewesen. Rühmt die Atmosphäre, die Gegner, vermeidet jeden Hauch von Überheblichkeit und kommt als bescheidener und doch entschlossener Champion rüber. Ein «Böser», mit sich selbst im Reinen.

Ja, es war, als zollten selbst die Schwingergötter ihrem Favoriten Respekt: Das Wetter hielt. Nur ein paar Wolken, aber kein Gewitter über dem Brünig. Wenn Matthias Sempach am 1. September in Burgdorf nicht König wird, dann wohl nie mehr: Eine eiserne Regel sagt, dass keiner nach dem 30. Geburtstag König werden kann. Beim Eidgenössischen 2016 in Estavayer (FR) wird Matthias Sempach den 30. Geburtstag hinter sich haben.

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