Krawalle in Zürich«Diese Chaoten treten unser System mit Füssen»
Bei einer unbewilligten Demonstration gegen den «Marsch fürs Läbe» wurden zwei Polizisten verletzt. Ein Vorfall auf der Josefswiese sorgt für Kritik an der Polizei.
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Brennende Container und Tränengas bei Demo in Zürich: Autonome versuchten, die Kundgebung gegen Abtreibungen zu stören. (Video: 20 Minuten)
Brennende Container, Tränengas in der Luft und fliegende Steine: In Zürich kam es am Samstag bei einer unbewilligten Demonstration zu Ausschreitungen. Linksautonomen setzten sich zum Ziel den «Märsch fürs Läbe» zu verhindern. Rund 200 Leute versammelten sich dafür auf der Josefswiese. Die Polizei konnte ein Aufeinandertreffen der beiden Demonstrationszüge verhindern, musste dafür Gummischrot und Tränengas einsetzen.
Polizisten seien an verschiedensten Orten mit Wurfgegenständen, wie Flaschen und Steinen beworfen worden. Mehrere kleinere Gruppierungen hätten versucht an den Polizeisperren vorbeizukommen, schreibt die Stadtpolizei Zürich in einem Communiqué. Unbekannte hätten an mehreren Orten Container angezündet und einzelne Strassenzüge mit Baustellenmaterial blockiert.
Kinderwagen ohne Kinder
Ein Vorfall zwischen der Polizei und den Linksautonomen sorgt im Nachgang der Krawalle für Diskussionen. Der Polizei wird vorgeworfen, in der Nähe von Familien und Kindern, die sich auf der Josefwiese befanden, Tränengas eingesetzt zu haben. «Die Stadtpolizei Zürich schiesst mit Gummischrot auf Kinder und Familien auf der Josefswiese und verteilt Tränen- und Pfeffergas. Ihr seid verrückt!», schreibt ein User auf Twitter.
Marco Cortesi, Mediensprecher der Stadtpolizei Zürich, weist diese Vorwürfe zurück: «Aufgrund meines Wissenstandes wurde auf der Josefswiese nie Tränengas eingesetzt, hingegen auf der Geroldsrampe schon», sagt er. Die Polizisten hätten dabei von oben Kinderwagen erblickt, in diesen seien aber Wurfgegenstände und nicht Kinder gewesen.
Eine Person verhaftet
Die Polizei konnte die Linksautonomen schliesslich einkesseln und die 175 Personen kontrollieren. Ein 30-jähriger Mann wurde wegen Gewalt und Drohung festgenommen.
Gegen den «Marsch fürs Läbe» kommt es zu unbewilligten Gegendemos. Autonome versuchten, die Kundgebung gegen Abtreibungen zu stören.
(Video: Leser-Reporter)
Demonstranten zünden Container an.
Während sich in den Zürcher Kreisen 4 und 5 wüste Szenen abspielten, hielt die Juso der Stadt Zürich eine bewilligte Demonstration auf dem Helvetiaplatz ab. «Unsere Demo verlief friedlich. Sie war gross und bunt. Es kamen schätzungsweise 500 Leute», sagt Co-Präsidentin Anna Luna Frauchiger zu 20 Minuten.
Zu den Ausschreitungen bei der unbewilligten Demonstration der Linksautonomen sagt sie: «Die Juso verurteilt das Vorgehen der Polizei. Die Jungsozialist*innen sind enttäuscht, dass die Polizei auf eine legitime Protestaktion mit so heftigen Mitteln reagierte.»
Kritik an der Polizei
Die unbewilligte Gegendemonstration habe versucht, die fundamentalistische Hetze vor Ort zu verhindern und den «Marsch fürs Läbe» davon abzuhalten, loszuziehen. «Es kann nicht sein, dass christliche Fundamentalisten in Zürich ihre Hetze verbreiten können», so Co-Präsidentin Anna Luna Frauchiger. Deshalb seien laut der Juso beide Formen von Protest gegen den «Marsch fürs Läbe» legitim und wichtig.
Die Polizei habe von Beginn an versucht, die unbewilligte Gegendemonstration durch repressive Massnahmen aufzulösen: «Protestaktionen dürfen nicht gewaltsam niedergeschlagen werden», sagt Anna Luna Frauchiger. «Die Jungsozialist*innen verurteilen Gewalt grundsätzlich und bedauern, dass es zu Ausschreitungen gekommen ist.» Vor allem auf der Josefswiese sei es seitens der Polizei zu «einem völlig unverhältnismässigem Gewalteinsatz» gekommen.
Sicherheitsvorsteherin soll Stellung beziehen
Obwohl die Juso selber nicht an den unbewilligten Protesten beteiligt gewesen sei, wollen sie aufgrnd dieser «gewaltsamen Einschreitungen» bei der Sicherheitsvorsteherin Karin Rykart um Erklärung bitten. «Die Juso Stadt Zürich fordert vom Sicherheitsdepartement eine Stellungnahme dazu, wieso alle Gegendemonstrant*innen auf der Josefswiese kriminalisiert wurden, obwohl die Mehrheit für eine friedliche Protestaktion gegen den ‹Marsch fürs Läbe› vor Ort war. Die Stadtpolizei nahm durch ihren Einsatz in Kauf, dass Kinder und Aussenstehende in Gefahr gebracht wurden.»

Der Vorstand der Juso Stadt Zürich: Anna Luna Frauchiger und Nathan Donno.
Mathias Ninck, Sprecher des Sicherheitsdepartements der Stadtpolizei Zürich, sagt auf Anfrage von 20 Minuten: «Das Sicherheitsdepartement wird die Vorwürfe sammeln, analysieren und allenfalls im Verlauf der nächsten Woche kommentieren.»
Kritik von links bis rechts
Anders als bei der Juso tönt es bei SP-Nationalrätin Min Li Marti. Sie geriet während dem Unterschriftensammeln am Limmatplatz mitten in den unbewilligten Demonstrationszug. Sie verurteilt die gewaltbereitschaft dieser Kreise scharf: «Es ist bedauerlich, wenn eine Gegendemonstration auf Krawall hinausläuft. Dann schadet man der Sache» Sie sei auch anderer Meinung wie Abtreibungsgegner. «Ohne grosse Gegendemonstrationen und Krawalle hätte man dem ‹Marsch fürs Läbe› keine grosse Beachtung geschenkt.»
Auch Beatrice Gall, Sprecherin des «Marsch fürs Läbe», verurteilt die Krawalle aufs Schärfste: «Es ist furchtbar, was passiert ist.» Das Ganze habe überhaupt nichts mehr mit Meinungsäusserungsfreiheit zu tun. «Die Toleranz, die diese gewaltbereite Kreise fordern, gestehen sie anderen überhaupt nicht zu. Das hat in einem demokratischen Rechtsstaat wie der Schweiz nichts verloren», so Gall.
Der «Marsch für Läbe» sei friedlich verlaufen. Der Marsch fand zwar verzögert statt und die Route musste wegen der Ausschreitungen verkürzt werden. «Aber wir sind mit unserer Kundgebung sehr zufrieden.»
System werde mit Füssen getreten
Nationalrat und Präsident der Stadtzürcher SVP, Mauro Tuena, sagt zu den Ausschreitungen: «Die durch die Verfassung garantierte Meinungsäusserungsfreiheit gibt jeder rechtsstaatlich agierenden Gruppierung das Recht, eine friedliche Kundgebung durchzuführen.»
Ob einem der Inhalt passt oder nicht, sei nicht relevant. «Dass vermummte, extrem gewalttätige Chaoten versuchen, eine solche Kundgebung gewaltsam zu verhindern, ist fatal und total daneben. Diese Chaoten treten unser freiheitliches System mit Füssen.»
Kundgebung mit Christoph Blocher
Am 5. Oktober führt die SVP Kanton Zürich einen Mobilisierungsanlass auf dem Münsterhof mit SVP-Übervater Christoph Blocher durch. Dieser wurde bereits bewilligt. «Unser Anlass wird friedlich ablaufen. Chaoten haben an diesem Tag an unserer Veranstaltung nichts verloren.»
Im November letzten Jahres hielt Blocher eine Rede in Uster zum Landesstreik von 1918. Rund 150 Demonstranten versammelten sich zu einer Anti-Blocher-Demo. Sie versuchten zum Redner-Saal zu gelangen. Die Polizei konnte sie davon abhalten.