Öffentliche Schikane der Reinigungskräfte am Zürich HB

Aktualisiert

Zürich HBDiese Szenen müssen Reinigungskräfte am Zürcher HB ertragen

Ein Video zeigt, wie ein Passant eine Reinigungskraft am Zürcher HB schikaniert. Ein Augenschein vor Ort zeigt: Diese Szene ist kein Einzelfall.

Echt oder gestellt? Eins steht für die Userinnen und User fest: So darf man nicht mit dem Reinigungspersonal umgehen.

20min/@szene_isch_zueri

Darum gehts

  • Ein Video in den sozialen Medien zeigt, wie ein Passant am Zürcher Hauptbahnhof eine Reinigungskraft schikaniert. 

  • 20 Minuten hat mit dem Reinigungspersonal am Zürcher Hauptbahnhof gesprochen. Einige berichteten von ihren schlimmsten Erfahrungen. 

  • Laut der Gewerkschaft Unia ist der respektlose Umgang mit dem Reinigungspersonal ein bekanntes Problem.

  • Despektierliches Verhalten sei deshalb unbedingt beim Arbeitgeber zu melden. 

«Ohne Worte …» schreibt der Betreiber des Instagram-Accounts «szene_isch_zueri» unter ein Video. Dieses zeigt, wie am Zürcher Hauptbahnhof ein Passant seinen Papierabfall direkt vor einem Reinigungsangestellten zerreisst und vor dessen Füsse schmeisst. Als die Reinigungskraft die Papierfetzen aufräumen will, verhindert der Passant dies, indem er auf den Abfall tritt. Ein Einschreiten ist von niemandem zu beobachten. Social-Media-Userinnen und -User sind schockiert: «So ein Verhalten sollte man anzeigen können», schreibt einer. Ein anderer User kommentiert: «Noch trauriger ist, dass niemand etwas dagegen unternimmt.»

Das Video regt zum Nachdenken an – hat diese Szene tatsächlich so stattgefunden oder ist das Ganze nur gestellt? Welche Schikanen muss das Reinigungspersonal über sich ergehen lassen? 20 Minuten hat am Zürcher HB nachgefragt und erfahren: Das Reinigungspersonal muss sich gar mit weitaus grösseren Grüseln abgeben. 

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Am Zürcher Hauptbahnhof zerreisst ein Passant demonstrativ eine Zeitung vor einer Reinigungskraft.

Am Zürcher Hauptbahnhof zerreisst ein Passant demonstrativ eine Zeitung vor einer Reinigungskraft.

Instagram szene_isch_zueri
Als die Reinigungskraft den Abfall wegräumen will, hindert der Passant ihn daran, indem er sich auf die Papierfetzen stellt. 

Als die Reinigungskraft den Abfall wegräumen will, hindert der Passant ihn daran, indem er sich auf die Papierfetzen stellt. 

Instagram szene_isch_zueri
Eine Zugreinigerin sagt gegenüber 20 Minuten, dass sie sich von den Menschen mehr Empathie wünscht. 

Eine Zugreinigerin sagt gegenüber 20 Minuten, dass sie sich von den Menschen mehr Empathie wünscht. 

20min/Michael Scherrer

«Er hat mich einfach nur ausgelacht»

So beispielsweise M.K.* (50). Der Facility Manager am Zürcher HB sagt, dass solche beabsichtigten Fälle immer wieder vorkommen – dabei sei das Zerreissen von Papier ein eher kleineres Übel. K. berichtet davon, wie ein betrunkener Mann eines Abends vor ihm bewusst auf den Boden urinierte: «Und dabei hat er auch noch gelacht», erinnert sich der Facility Manager. «Manchmal fühle ich mich hier wie im Irrenhaus.» Diese Respektlosigkeiten erlaubten sich die Leute laut K. nur, weil sie sich für etwas Besseres halten als das Reinigungspersonal.

Auch die 61-jährige B.H.* musste demütigende Momente über sich ergehen lassen: Einmal sei ein junger betrunkener Mann ins WC gekommen und sah H. eine Weile lang zu, wie sie das Lavabo putzte. «Als ich mit dem Putzen fertig war, ging der Mann zum Lavabo und übergab sich bewusst darüber. Ich war entsetzt», sagt H. Die 61-Jährige habe dieses Verhalten nicht auf sich sitzen lassen wollen und habe den Mann aufgefordert, sein Erbrochenes selber wegzuputzen. «Reagiert hat er darauf nur mit einem höhnischen Lachen und ist weggegangen.»

Die Wertschätzung gegenüber der Arbeit des Putzpersonals sei sehr gering. Dies bestätigt auch eine Frau, die für das Reinigen der Züge zuständig ist. Sie will anonym bleiben, sagt aber, dass sie sich mehr Empathie wünscht: «Es wäre schön, wenn sich die Leute in unsere Situation hineinversetzen würden.» 

SBB verurteilt despektierliches Verhalten von Passanten

In einer Stellungnahme sagte die SBB zum Video: «Wir verurteilen das darin dokumentierte Verhalten des Passanten aufs Schärfste: Die SBB toleriert keinerlei Form von Belästigung, Diskriminierung oder Gewalt gegenüber ihren Mitarbeitenden.»

Das Unternehmen betont, dass dessen Mitarbeitende sich tagtäglich mit grossem Engagement für einen reibungslosen Bahnbetrieb einsetzen. «Als Unternehmen leben wir einen verantwortungs- und respektvollen Umgang untereinander und begegnen den Kundinnen und Kunden mit Wertschätzung. Einen respektvollen und wertschätzenden Umgang dürfen unsere Mitarbeitenden auch von Dritten erwarten.» 

Besonders viele Meldungen von Hotel-Reinigungspersonal

Laut der Gewerkschaft Unia ist der respektlose Umgang mit dem Reinigungspersonal ein bekanntes Problem, auch wenn der Vorfall in auf dem Video – sollte dieser sich tatsächlich so zugetragen haben – ein Extrembeispiel sei. «Es gibt aber leider auch immer wieder krasse Fälle», sagt Unia-Mediensprecherin Katja Signer und fügt hinzu: «Etwa in der Hotelreinigung stösst das Personal oft auf grob verunreinigte und verunstaltete Zimmer, muss sich Beleidigungen anhören und wird sexuell belästigt.» Auch Fälle, in denen Hotelgäste den Putzkräften nackt auflauern würden, kämen vor.

«Es ist sinnvoll, respektloses Verhalten bei seinem Arbeitgeber zu melden, denn die Arbeitgeber sind für die Sicherheit und Gesundheit der Angestellten verantwortlich», sagt Signer. Allerdings nehmen laut Signer viele Reinigungskräfte demütigende Vorfälle einfach hin – sie seien oftmals auf ihre Stelle angewiesen und wollen keine Probleme kriegen.

Signer weist jedoch darauf hin: «Die Arbeitgeber sind verpflichtet, ihre Angestellten zu schützen! Die wichtige und strenge Arbeit des Reinigungspersonals verdient mehr Respekt und Wertschätzung.» Wer das Gespräch lieber nicht bei der Arbeitgeberin oder dem Arbeitgeber sucht, könne sich auch an die Gewerkschaft wenden: «Wir schauen die Situation einerseits individuell an und sorgen andererseits aber auch dafür, dass Missstände nicht im Verborgenen bleiben, sondern in die Gesellschaft getragen und öffentlich diskutiert werden.» 

*Name der Redaktion bekannt

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