MenschenrechteDiese Unrechtsstaaten rügen die Schweiz
Russland, Irak, Venezuela: Diese Länder üben Kritik an der Menschenrechtslage in der Schweiz – obwohl sie selbst grosse Defizite haben.
- von
- pam
Die Schweiz will bei den Menschenrechten ein Vorbild sein. Dieses Ziel erreichte sie bei der jüngsten Überprüfung des UNO-Menschenrechtsrats nur teilweise. Zwar lobte das Gremium die Schweiz für die «hohen menschenrechtlichen Standards und ihr Engagement».
Trotzdem gingen im Rahmen einer Überprüfung, die alle viereinhalb Jahre stattfindet, 251 Forderungen an die Schweiz ein – darunter auch von Ländern, die selbst schlecht wegkommen. 20 Minuten hat die verschiedenen Kritikpunkte gesammelt.
• Russland: Überfüllte Gefängnisse
Die Schweiz müsse eine Lösung finden, das Problem der überfüllten Gefängnisse anzugehen, findet Russland. Explizit auf die die Zustände im Genfer Gefängnis Champ-Dollon weist zudem Venezuela hin. Tatsächlich hat auch das Bundesgericht letztes Jahr festgestellt, dass auch die Überbelegung in Champ-Dollon gegen die Menschenrechte verstösst, nachdem ein Gefangener kritisiert hatte, er habe 136 Tage auf weniger als vier Quadratmeter verbringen müssen. Doch wie sieht es in Russland aus? Laut Bürgerrechtlern sind Isolationshaft und Folter verbreitet. Und Amnesty International spricht von «weitverbreiteten Misshandlungen».
• Irak: Lohngleichheit garantieren
Die Schweiz müsse die notwendigen Schritte unternehmen, um «die Lohngleichheit zwischen den Geschlechtern in allen Branchen» zu garantieren, hält der Irak im UNO-Bericht fest. Und wie steht es um die Frauenrechte im Irak? Die Organisation für wirtschaftliche Entwicklung und Zusammenarbeit (OECD) hält dort die gesellschaftliche Diskriminierung, auch wegen der streng angewandten islamischen Rechtsordnung, für «hoch». So ist es verbreitet, dass sich Frauen vor einem Arztbesuch das Einverständnis des Mannes holen müssen.
• Venezuela: «Rechte Medien» bekämpfen
Die Regierung von Venezuela kritisierte in ihrem Bericht «die extrem rechte Positionierung» gewisser Schweizer Medien. Welche gemeint sind, ist nicht bekannt. Aus Sicht des sozialistischen Landes unter Präsident Nicolás Maduro muss die Schweiz hier handeln. Laut Reporter ohne Grenzen belegt Venezuela Platz 137 von 180 auf der Rangliste der Pressefreiheit. Zudem schreibt Reporter ohne Grenzen: «Alle Rundfunksender müssen jederzeit kurzfristig und in voller Länge Regierungsverlautbarungen ausstrahlen.»
• Ungarn: Umsetzung von Volksinitiativen
Verschiedene UNO-Staaten nahmen die Schweizer Volksinitiative ins Visier. Mit Blick auf die SVP-Initiative «Schweizer Recht statt fremde Richter» kritisiert etwa Ungarn, die Schweiz müsse garantieren, dass Volksinitiativen sich nicht gegen internationales Recht wenden dürften. Doch Ungarn tut sich selbst schwer mit direkter Demokratie: Zwar verfügt das Land ebenfalls über Volksinitiativen. Doch zwischen 2012 und 2016 wurden von 329 nur gerade 15 zur Unterschriftensammlung zugelassen.
Die Beispiele werfen die Frage auf, inwiefern Staaten wie Russland oder der Irak die Schweiz in Sachen Menschenrechten belehren dürfen. Für SVP-Nationalrat Roland Rino Büchel ist klar, dass viele der Länder, die nun die Schweiz kritisieren, zuerst einmal selbst in den Spiegel schauen müssten. «Oftmals sind es genau jene Staaten, die berechtigte Kritik an ihre eigene Adresse einfach ignorieren.»
Die Länder formulierten ihre Empfehlungen für die Schweiz auf Basis eines Lageberichtes des Bundes und der UNO sowie von Empfehlungen von Nichtregierungsorganisationen (NGOs). Allen Staaten stehen dieselbe Informationen zu einem Land zu. Die Länder können auch ihre Botschafter fragen, wie sie die Menschenrechtssituation beurteilen. Viele Empfehlungen stammen jedoch auch direkt von lokalen NGOs.
29 Empfehlungen stammen von Schweizer NGOs
So formulierte auch die Schweizer NGO-Plattform Menschenrechte 42 Forderungen, von denen 29 übernommen wurden – etwa von Ägypten. Für Büchel zeigt das die «bizarre Rolle der NGOs» auf, die Unrechtsstaaten herbeiziehen müssen, um ihre Forderungen zu platzieren.
«Alle UNO-Länder haben das Recht, die Menschenrechtslage in anderen Staaten zu kritisieren und Verbesserungen vorzuschlagen – unabhängig von der Situation im eigenen Land», findet dagegen Alain Bovard, Jurist bei Amnesty International Schweiz.
Iran forderte 2012 mehr Frauenrechte
Natürlich führe dies auch zu ironischen Vorstössen. «2012 verlangte etwa der Iran, dass die Schweiz mehr für die Gleichstellung der Geschlechter tut.» Dies sei natürlich lächerlich, wenn man bedenke, dass im Iran die Frauen kaum Rechte haben. Aber dieses Jahr seien schon viel weniger solche Empfehlungen eingegangen.
Trotzdem ist Bovard vom Nutzen der regelmässigen Überprüfung der Menschenrechte durch alle UNO-Staaten überzeugt: «Hier sitzen die besten und schlimmsten Staaten an einem Tisch. Das bringt schlussendlich alle weiter.» Laut Bovard wäre es problematisch, wenn nur noch Vorzeige-Staaten Kritik äussern könnten: «Das zeigt sich heute schon beim Beispiel Migration: Dass die Schweiz Flüchtlinge in Bunkern einquartiert, kritisierte kein Land. Weil etwa auch andere europäische Länder wissen, dass die eigene Situation noch schlimmer aussieht.»
Das sagt der Bund
Das Eidgenössische Departement des Innern teilt auf Anfrage mit, dass es jedem der 193 UNO-Staaten frei stehe, der Schweiz Empfehlungen in Menschenrechtsfragen abzugeben. Dasselbe könne die Schweiz im Gegenzug auch für diese Länder tun. Von den 250 eingereichten Empfehlungen hat die Schweiz 67 abgelehnt. Die restlichen hat sie provisorisch gutgheissen. Das EDA entscheidet nun in den kommenden Monaten, welche sie definitiv umsetzen will.