Tritt-Verhaftung in Zürich«Diesen Imageschaden müssen alle Polizisten ausbaden»
Die Polizei steht momentan wegen verschiedener Vorfälle in der Kritik. Zwei Experten sagen, was das für das Image der Behörden heisst.
- von
- Christina Pirskanen
- Noah Knüsel
Zürcher Polizisten verhaften einen Mann und treten ihm in den Bauch.
Darum gehts
Tritt-Verhaftung, Zeremonie-Video und Schläge an Corona-Demo: Die Polizei steht derzeit oft in der Kritik.
Viele hätten ein Problem damit, sagt Soziologe Ueli Mäder: «Sie erwarten, dass die Polizei die Bevölkerung schützt.»
Man müsse aber bedenken, dass die Polizei selbst oft Befehlsempfänger sei, sagt der Ex-Polizist Markus Melzl: «Sie muss die Entscheide durchsetzen, die von der Politik gefällt wurden.»
Trotzdem: «Solche Vorfälle beschädigen das Image der Polizei.»
Nachdem die Polizei mitten in der Stadt Zürich einen Mann mit einem Tritt in den Bauch verhaftet hat, ist ein News-Scout schockiert: «Es gibt keine Rechtfertigung für solche Gewalt.» Die Stadtpolizei Zürich verteidigt sich: Der Mann habe gemäss Augenzeugen zuvor Passanten attackiert und Gegenstände gegen diese geworfen. Medienchefin Judith Hödl: «Der Mann verhielt sich aggressiv, widersetzte sich der Polizeikontrolle und versuchte, die Hände eines Polizisten wegzudrücken.» Der offensichtlich stark alkoholisierte Mann habe mit einem Ablenkungsschlag gegen den Bauch überwältigt und festgenommen werden können.
Es ist nicht der erste Vorfall in den letzten Wochen, der für Aufruhr sorgt: An einer Corona-Demo in Bern hatten Polizisten einen Demonstranten mit Schlägen traktiert. Und jüngst veröffentlichte die massnahmenkritische Polizei-Gruppe «Wir für euch» ein Video, das massive Kritik auslöste. Solche Dinge könnten das Image der Polizei beschädigen, meinen Experten.
Vor wenigen Wochen hatte die Berner Polizei an einer Corona-Kundgebung einen Demonstranten mit Schlägen traktiert.
Soziologe verurteilt «massive Gewalt»
«Wenn ich nur den Video-Ausschnitt beurteile, finde ich das Verhalten unverhältnismässig», sagt Soziologe Ueli Mäder. Wenn mehrere Polizisten um den Verdächtigen herumstehen, müsse es möglich sein, jemanden ruhiger und ohne solche Gewalt festzuhalten. «Natürlich spielt aber auch die Vorgeschichte eine Rolle: Hat der Verdächtige massive Gewalt angewendet, ist die Dynamik gereizter», sagt der Soziologe.
Generell erwartet Mäder von einer professionellen Polizei, dass sie jemanden möglichst kontrolliert festnehmen könne: «Diese massive Gewalt gegenüber der eigenen Bevölkerung finde ich auch in anderen Situationen übertrieben.»
«Es gibt einen Moment des Schulterschlusses»
Die durchgesetzte Ruhe und Ordnung möge Sicherheit vermitteln, sagt der Soziologe: «Einige werden das harte Durchgreifen der Polizei begrüssen.» Andere wiederum werden laut Mäder ernsthafte Probleme damit haben: «Sie erwarten, dass die Polizei die Bevölkerung schützt und angemessen mit ihr umgeht.»
Wie in jeder Gemeinschaft könne es auch bei der Polizei nach Kritik von aussen zu einem verstärkten Schulterschluss kommen, so Mäder: «Man deckt sich dann umso mehr gegenseitig.» Aus einem Opfergefühl heraus könne je nach dem sogar eine Art Trotzhaltung entstehen. Es gebe aber auch das Gegenteil, betont der Soziologe: «Andere Polizistinnen und Polizisten werden sich mit solchen Situationen kritisch auseinandersetzen und daraus lernen.»
Mehrere Problemfelder
Für Ex-Polizist Markus Melzl ist klar, dass solche Vorfälle das Image der Polizei in der Öffentlichkeit beschädigen: «Das müssen schlussendlich alle Polizistinnen und Polizisten ausbaden.»
Melzl sieht mehrere Problemfelder, denen die Polizei ausgesetzt sei. Einerseits würden generell Autoritäten eher in Frage gestellt: «Andererseits ist die Stimmung wegen der Pandemie momentan sehr aufgeheizt.» Man müsse aber bedenken, dass die Polizei selbst oft nur Befehlsempfänger sei, so Melzl: «Sie muss die Entscheide durchsetzen, die von der Politik gefällt wurden.»
Der ehemalige Polizist befürchtet ein Nachwuchsproblem wegen des Imageschadens: «Es wundert mich nicht, wenn sich fähige junge Menschen die Frage stellen: Will ich wirklich zur Polizei?» Daraus könne sich ein Teufelskreis ergeben: «Wenn gute Leute fehlen, muss man irgendwann auf die weniger geeigneten zurückgreifen.» Das wiederum könne bestehende Probleme noch verschärfen.