Gipfel-ProtestDritte Obduktion von G-20-Opfer
Der Leichnam des bei den G-20-Protesten in London ums Leben gekommenen Mannes wird ein drittes Mal gerichtsmedizinisch untersucht. Inzwischen ist ein weiteres Video aufgetaucht, das die Polizeiattacke dokumentiert.
Die dritte Obduktion des Leichnams von Ian Tomlinson wird gemäss der Zeitung «The Guardian» am Mittwoch durchgeführt. Beantragt wurde sie von den Anwälten des Polizisten, der Tomlinson während den Protesten gegen den G-20-Gipfel am 1. April in London zu Boden gestossen und mit dem Schlagstock traktiert hatte. Kurz darauf starb der 47-jährige Zeitungsverkäufer, der sich auf dem Heimweg befunden hatte.
Die erste Untersuchung ergab als Todesursache einen Herzinfarkt. Nachdem belastende Videos aufgetaucht waren, wurde eine zweite Obduktion angeordnet. Sie zeigte, dass Tomlinson an inneren Blutungen gestorben war. Dem Polizisten droht ein Verfahren wegen Totschlags. Seine Anwälte wollen nun Licht in die widersprüchlichen Ergebnisse bringen. Der «Guardian» veröffentlichte am Mittwoch auf seiner Website ein weiteres Video, das den Vorfall mit Ian Tomlinson in einem grösseren Zusammenhang zeigt.
Kritik aus den eigenen Reihen
Die Londoner Polizei musste inzwischen Kritik aus den eigenen Reihen vernehmen. Der mit der Untersuchung der Polizeitaktik beauftragte Chefinspektor Denis O'Connor sprach am Dienstag vor einem Ausschuss des Unterhauses von «inakzeptablem Verhalten», das in keiner Weise den Standards der britischen Polizei entspreche. Er kritisierte unter anderem die Taktik des Einkesselns von Demonstranten. Dadurch würden auch unbeteiligte, ältere und schwangere Leute stundenlang festgehalten.
Als «absolut inakzeptabel» bezeichnete O'Connor, dass mehrere Polizisten ihre Identifikationsnummern entfernt hatten. Das betrifft auch den Fall der 35-jährigen Nicola Fisher. Ein Video zeigt, wie ein Polizist ihr mit der Hand ins Gesicht und mit dem Schlagstock in die Beine schlug. Sie habe ihn nicht identifizieren können, weil er seine Nummer nicht getragen habe, hatte sich Fisher beklagt. Denis O'Connor kündigte an, er werde bereits im Juni einen Zwischenbericht veröffentlichen.
185 Beschwerden
Vor dem gleichen Unterhaus-Ausschuss äusserte sich auch Nick Hardwick, der Leiter der unabhängigen Beschwerdekommission der Polizei. Bei seiner Behörde seien 185 Klagen zum Polizeieinsatz am G-20-Gipfel eingegangen. Mehr als 50 hätten Fälle von Gewalt betroffen, so Hardwick.
(pbl)