
Den Partner zu umsorgen, macht Freude – bleibt es auf Dauer jedoch einseitig, wird es problematisch.
«Wendy-Dilemma»Du bemutterst deinen Partner? Darum solltest du damit aufhören
Du steckst deine Bedürfnisse in der Beziehung ständig zurück? Das sogenannte «Wendy-Dilemma» könnte schuld dran sein. Ein Paarberater weiss, was hilft.
Kommt dir folgende Situation bekannt vor? Nach einem langen Arbeitstag würdest du dich am liebsten zusammen mit deinem Partner auf die Couch chillen und nichts machen. Dennoch gehst du nach Feierabend einkaufen und sorgst dafür, dass das Abendessen nicht zu spät auf dem Tisch steht. Sein Arbeitstag war schliesslich bestimmt anstrengender als deiner.
Klar, jeder kümmert sich gerne mal um den Partner – bleibt es auf Dauer einseitig, wird es allerdings problematisch. In einer repräsentativen Umfrage der Forschungsstelle Sotomo und der «Annabelle» geben 81 Prozent der Frauen an, dass sie wesentlich mehr als ihr Partner beim Organisieren und Drandenken im Haushalt und in der Familie leisten.
Wie findest du es, wenn sich jemand in einer Beziehung so verhält?
«Vor allem Frauen tendieren dazu, ihre Bedürfnisse zurückzustecken, den Partner zu bemuttern und somit den gesamten Mental Load auf sich abzuladen», sagt Paar- und Sexualtherapeut David Siegenthaler. Wenn auch du dich in diesem Verhaltensmuster gerade wiedererkennst, könntest du vom Wendy-Dilemma betroffen sein.
Über den Experten
Der Ursprung
Benannt ist das Phänomen nach der gleichnamigen Figur aus dem Peter-Pan-Film. Im Kinderfilm-Klassiker hat die Hauptfigur Peter immer seine Wendy an der Seite, die sich um ihn und die verlorenen Jungs kümmert.
«Das Wendy-Dilemma bezeichnet eine Frau, die die Rolle der Mutter übernimmt. Es ist das Pendant zum Peter-Pan-Syndrom, was die Verhaltensweise eines Mannes bezeichnet, der nicht erwachsen werden möchte», sagt David Siegenthaler.
Die Gründe
«Der Hauptgrund ist sicher die Sozialisierung. Vielleicht hat man es vorgelebt bekommen, dass die Mutter sich um alles kümmert und der Vater wenig Verantwortung übernimmt», sagt der Paarberater. «Lebt man in dieser Rollenverteilung, also dass die Frau zum Beispiel zu Hause ist und der Mann arbeitet, ist es verlockend, in bestimmte Strukturen zu verfallen. Die Frau weiss, wie die Dinge ablaufen, und übernimmt Aufgaben selbst, statt dem Mann alles erklären zu müssen.» Entweder tendiere man dazu, es allen recht machen zu wollen, oder man bestimme und gebe vor, wie eine Aufgabe zu erledigen sei, so der Experte. «Letzteres führt oft dazu, dass der Mann wie ein trotziges Kind reagiert oder sich zurückzieht.»

Wer ein traditionelles Geschlechterrollenverständnis vorgelebt bekommen hat, tendiert eher zum Wendy-Dilemma.
Die Gefahren
«Frauen, die alles für ihren Partner tun, die eigenen Bedürfnisse vernachlässigen und sich immer mehr Arbeit aufbürden, haben irgendwann das Gefühl, dass alles zu viel wird. Es kommt zum Burn-out», sagt Siegenthaler. Man brenne aus, weil man immer zurückstecke. «Das hat zur Folge, dass man dem Partner häufiger Vorwürfe macht und sich emotional zurückzieht. Man fühlt sich nicht mehr ernst genommen und spürt keine Liebe mehr.»
Ausserdem leide die Sexualität unter dem Wendy-Dilemma, so der Paarberater. «Tendiert man eher dazu, es allen recht machen zu wollen, kommen auch dort die eigenen Bedürfnisse zu kurz.» Es könne sein, dass die Sexualität erlösche oder die Qualität abnehme. «Eine Frau möchte im Alltag und in ihrer Sexualität wahrgenommen werden und spüren, dass man ein Team ist.»

Eine ausgeglichene Beziehung führt auch im Schlafzimmer zu mehr Glück.
Was hilft gegen das Wendy-Phänomen?
Zuerst einmal müsse man verstehen, was in einem selbst passiere, erklärt der Experte. «Befinde ich mich in der Rolle der Mutter, die bestimmt oder die zurücksteckt? Verfällt mein Partner in die Rolle des trotzenden Kindes oder zieht er sich zurück? Dann muss man darüber reden. Wie fühlt es sich an, wenn wir in diese Verhaltensmuster fallen? Was sind unsere Wünsche – diese müssen konkret in Worte gefasst werden. In solchen Fällen sollte man auch professionelle Hilfe in Betracht ziehen, weil das Problem sehr tief gehen kann.»