VersicherungsmissbrauchEin Sozialdetektiv packt aus
Die Gegner des Sozialdetektiv-Gesetzes warnen vor «massloser» Überwachung. Ein Sozialdetektiv findet die Befürchtungen übertrieben.
- von
- P. Michel
Filmaufnahmen, GPS-Tracker, Drohnen: Um Sozialversicherungsmissbrauch zu bekämpfen, hat das Parlament im Eiltempo ein neues Gesetz durchgewinkt, das am 25. November vors Volk kommt. Der Zürcher Privatdetektiv Marco Specker, der für private sowie für Sozialversicherungen verdächtigte Personen observiert hat, nimmt Stellung.
Herr Specker, Sie observieren für Versicherer mutmassliche Betrüger. Fühlen Sie sich wohl bei der Bespitzelung von Fremden?
Das ist unterschiedlich. Es gibt Observationen, bei denen man sich unwohl fühlt und denkt: Diese Person lebt mit ihrer IV-Rente schon finanziell am Limit, und jetzt schnüffle ich noch in ihrem Leben herum. Das Gegenteil kommt aber häufiger vor: dass man ob der Skrupellosigkeit staunt.
Zum Beispiel?
Ein Coiffeur bezog etwa Sozialhilfe, schnitt aber privat in seiner Wohnung Kunden die Haare zu Dumpingpreisen. Oder eine Wirtin arbeitete weiter, obwohl sie Krankentaggeld bezog.
Die Gegner des «Sozialdetektiv-Gesetzes» stellen in einem Video den Detektiv als kauzigen Mann dar, der zwischen Büschen mit dem Fernrohr späht. Wie sieht Ihre Arbeit bei einem Versicherungsfall aus?
Das ist eine weltfremde Vorstellung. Ich gehe ohne Vorurteile und unabhängig an eine Observation ran. Sonst entstünden Falschaussagen. Der Versicherer beauftragt einen Sozialdetektiv, weil ihm ein Anfangsverdacht zugetragen worden ist oder er selbst Unregelmässigkeiten festgestellt hat. Mit dem Versicherer bespreche ich dann den Fall und die Art der Observation. Es geht vor allem darum, sich in die Person hineinzuversetzen, gezielt Beweise zu sichern und nicht Massen von Daten zu sammeln.
Laut Gesetz sind verdeckte Observationen mit Ton und Bild sowie mit GPS-Tracker oder Drohnen möglich, sofern ein Anfangsverdacht besteht. Haben Sie das als Detektiv nötig?
Wenn Missstände aufgedeckt werden sollen, brauchen wir auch die geeigneten Mittel dazu. Meine wichtigsten Hilfsmittel sind Bild- und Videobeweise. GPS-Tracker setze ich nur ein, um eine Person im Strassenverkehr nicht zu verlieren. Sowieso handelt es sich bei GPS-Trackern am Auto um eine fahrzeugbezogene technische Observation und nicht um eine personenbezogene. Das heisst, wenn sich ein Auto an einem Ort aufhält, ist das noch lange kein Beweis, dass auch die Zielperson dort ist. Drohnen sind noch Zukunftsmusik. Ihr lautes Surren ist für eine diskrete Überwachung sowieso eher hinderlich.
Nur bei technischen Standortbestimmungsgeräten wie GPS braucht es eine richterliche Genehmigung. Foto-, Ton- und Bildaufnahmen können die Versicherer nach Gutdünken anordnen. Für die Gegner ist das Willkür.
Ich gehe davon aus, dass die Richter zurückhaltend mit der Erteilung von GPS- oder Drohneneinsätzen sein werden. Auch die Versicherer erteilen Observationsaufträge nicht einfach nach dem Zufallsprinzip – es müssen ja auch laut Gesetz konkrete Anhaltspunkte vorliegen.
Die Gegner warnen weiter: Sozialversicherte wären nicht einmal im Schlafzimmer vor Überwachung geschützt. Wo liegen Ihre Grenzen?
Die Grenzen müssen situativ gesetzt werden. Im Falle des Coiffeurs, der schwarz arbeitete, konnten wir mit der Beweisaufnahme vor der Wohnungstür nicht stoppen und mussten einen fiktiven Termin vereinbaren. Eine Bespitzelung ins Schlafzimmer ergibt nur Sinn, wenn dort ein Verdacht besteht. Die Wahrung der Diskretion ist immer oberstes Prinzip.
Sie werden von Versicherungen beauftragt, weil sich diese um den Vertrauensverlust durch Missbrauchsfälle fürchten. Fakt ist aber: Die Missbrauchsfälle in der Invalidenversicherung liegen bei unter einem Prozent. Mit dem neuen Gesetz wird also die Privatsphäre aller rechtschaffenen Versicherten wegen Einzelfällen geritzt.
Das sehe ich anders. Missbräuche treiben die Prämien für die rechtschaffenen Versicherten in die Höhe. Da ist es gerechtfertigt, in Verdachtsfällen Untersuchungen anzuordnen, damit die Zeche nicht andere bezahlen müssen.
Nochmals: Die Privatsphäre ist doch höher zu gewichten als eine insgesamt kleine Anzahl von Betrügereien, die es in jedem System unausweichlich gibt.
Von einem übermässigen Eingriff in die Privatsphäre kann keine Rede sein. Dafür geben die privaten Versicherungen sowie die Sozialversicherungen nicht genügend finanzielle Mittel frei. Zu den angeblich tiefen Zahlen: Die Hälfte der Verdachtsfälle erhärtet sich und von der Dunkelziffer wissen wir nichts. Die Suva konnte zwischen 2009 und 2016 17 Millionen Franken einsparen. Das spricht für sich.
*Marco Specker ist Privatdetektiv in Zürich.
Das «Sozialdetektiv-Gesetz»
Derzeit fehlen in der Schweiz die rechtlichen Grundlagen zur Observation von Sozialversicherten, wie das Bundesgericht 2017 festhielt. Seither hat die IV Observationen gestoppt. Das Parlament hat daraufhin im Eilverfahren ein Gesetz verabschiedet, wonach Versicherte verdeckt mit Bild- und Tonaufzeichnungen sowie mit Standortbestimmungstechnik observiert werden können, wenn ein Verdacht besteht. Das gilt für die Invaliden-, Kranken-, Unfall- und Arbeitslosenversicherung sowie für die AHV. Gegen das Gesetz hat ein Bürgerkomitee das Referendum ergriffen, weshalb die Vorlage am 25. November vors Volk kommt. Erlaubt ist die Observation laut Bundesgericht unabhängig davon heute bei privaten Versicherungen. Auch im Kanton Zürich dürfen mutmassliche Sozialhilfebetrüger überwacht werden.