Skandal in ArgentinienEin undankbarer «Sohn»
Für Hebe de Bonafini, die Gründerin der bekannten Organisation «Madres de Plaza de Mayo», war Sergio Schoklender wie ein Sohn. Jetzt gefährdet er ihr Lebenswerk.
- von
- Karin Leuthold

Eine schwere Enttäuschung für Hebe de Bonafini: Ihr ehemaliger Schützling Sergio Schoklender sollen Gelder aus der Stiftung «Madres de Plaza de Mayo» veruntreut haben. (Bild: AFP)
Die Anführerin der Mütter der Plaza de Mayo, Hebe de Bonafini, kam am Montag höchstpersönlich ins Gerichtsgebäude in Buenos Aires. Sie wolle Anzeige gegen den ehemaligen Bevollmächtigten der Organisation erstatten, sagte sie dem Richter Norberto Oyarbide. Sergio und Pablo Schoklender sollen Gelder der Stiftung «Sueños Compartidos» («Gemeinsame Träume»), die der Menschenrechtsorganisation untersteht, veruntreut haben. Sie taten es, «um sich selbst zu bereichern», sagte die 82-Jährige später vor den Medien. Zudem sollen wichtige Dokumente aus den Büros entwendet worden sein.
Bonafinis Projekt «Sueños Compartidos» baut in Argentinien Wohnungen für arme Leute. Die Regierung von Präsidentin Cristina Kirchner unterstützte Bonafini mit insgesamt 300 Millionen Dollar. Dabei wird Slumbewohnern die Möglichkeit geboten, als Bauarbeiter beim Projekt mitzuwirken und sich so an der Finanzierung der eigenen Wohnung zu beteiligen. Bislang wurden Tausende solche Wohnungen übergeben. Dazu baut die Stiftung Schulen, Spitäler und Gesundheitszentren.
Politische Auswirkungen auf die kommenden Wahlen
Mit der Anzeige wolle sich die Organisation der Mütter, die sich seit über 30 Jahren der Suche nach den während der Militärdiktatur verschwundenen Söhnen und Töchtern widmet, klar von den Aktivitäten der Gebrüder Schoklender distanzieren, stellte Bonafinis Anwalt, Eduardo Barcesat, klar. Die beiden Beschuldigten sollen in den letzten Jahren mehrmals Schecks, die die Organisation von der Regierung erhielt, auf private Konti überwiesen haben. Nach Medienangaben liessen es sich die Brüder offenbar gut gehen: Vom Privatjet bis zur Luxusyacht soll es den beiden an nichts gefehlt haben.
Die Schoklenders waren die Geschäftsführer einer Firma namens «Meldorek», die mit den Bauprojekten in verschiedenen Teilen des Landes beauftragt war. Die hochwertigen Bauten waren von Pablo Schoklender selbst entworfen worden. Doch wie sich nun herausstellt, waren mehrere Fahrzeuge der Stiftung «Madres de Plaza de Mayo» auf den Namen der Firma zugelassen. Hebe de Bonafini behauptet, sie habe von der Existenz von «Meldorek» gewusst. Dass aber Eigentum der Stiftung in diese Firma geflossen sei, das sei ihr neu.
Erstmals berichtete die Presse Anfang Juni über die Affäre, als Sergio Schoklender überraschend sein Amt als Bevollmächtigter aufgab. Offenbar hatte er Wind von den Ermittlungen bekommen, die Staatsanwalt Raúl Pleé führte: Die Organisation zur Überwachung und Bekämpfung der Geldwäsche war den Schoklenders nach einer Anzeige am 2. Juni auf den Fersen, weil Regelwidrigkeiten beim Kauf von Grundstücken entdeckt worden waren.
Zweiter «Muttermord»
Die Veruntreuung der Subventionen, die die Stiftung von der Regierung erhalten hatte, könnte nun schwerwiegende politische Auswirkungen zeitigen: Weil die Kirchners das Projekt so stark unterstützten, lässt sich die Opposition nun die Chance nicht entgehen, die Regierung mit dem Korruptionsskandal anzuschwärzen. Dabei wird der Skandal just zu jenem Zeitpunkt bekannt, in dem Cristina Kirchner ihre Entscheidung ankündigen sollte, ob sie bei den kommenden Wahlen im Oktober als Kandidatin antritt oder nicht.
Für Hebe de Bonafini ist der Verrat der Schoklender allerdings ein besonders schwerer Schlag: Die Brüder Sergio und Pablo hatten im Jahr 1981 im Alter von 20, bzw. 23 Jahren ihre eigenen Eltern ermordet. Die jungen Männer wurden zu lebenslangen Haftstrafen verurteilt. Im Gefängnis studierten beide Jus. Sergio ist ausserdem Psychologe. 1995 kam Sergio frei, weil die Haft vor dem Prozess doppelt angerechnet wurde. Pablo wurde einige Jahre nach seinem Bruder ebenfalls aus der Haft entlassen. Sie bleiben für den Rest ihres Lebens auf Bewährung. Derzeit befinden sie sich noch auf freiem Fuss, solange keine Anklage erhoben wird.
Nach ihrer tragischen Vergangenheit war Hebe de Bonafini die einzige, die den Brüdern Schoklender eine zweite Chance gab. In Interviews pflegte sie zu sagen, Sergio sei «wie ein Sohn» für sie. Ihre zwei leiblichen Söhne Jorge und Raúl verschwanden während des «Schmutzigen Krieges» in den Jahren 1977 und 1978. Für die 82-jährige Hebe Bonafini ist dies nur ein herber Schlag – und für die Brüder Schoklender ein zweiter «Muttermord».